Entscheidungsstichwort (Thema)
Abänderung eines Prozessurteils in ein Sachurteil durch das Berufungsgericht; Feststellungsinteresse bei noch nicht abgeschlossener Schadensentstehung; Individualisierung eines zur Verjährungshemmung bestimmten Güteantrags, Rechtsmissbräuchlichkeit eines Güteantrags
Leitsatz (amtlich)
1. Befindet sich der anspruchsbegründende Sachverhalt (z.B. der Schaden) zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung, ist eine Feststellungsklage insgesamt auch dann zulässig, wenn bereits der größte Teil des Anspruchs beziffert werden kann und die Entstehung des weiteren Anspruchsteils noch ungewiss ist.
2. In einem Prozessurteil enthaltene Ausführungen zur materiellen Rechtslage sind im nächsten Rechtszug als nicht geschrieben zu behandeln. Wenn das Prozessurteil klar als solches zu erkennen ist, haben sie keinen Einfluss auf seine Rechtmäßigkeit.
3. Der Güteantrag gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB hat in Anlageberatungsfällen regelmäßig die konkrete Kapitalanlage zu bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum anzugeben und den Hergang der Beratung mindestens im Groben zu umreißen; ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest so weit zu umschreiben, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist. Eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag seiner Funktion gemäß demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten. Ohne die nötige Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs tritt eine Hemmung der Verjährung nicht ein; sie kann nach Ablauf der Verjährungsfrist auch nicht mehr verjährungshemmend nachgeholt werden.
4. Ein dem Antragsgegner von der Gütestelle erst zehn Monate nach Ablauf der Verjährungsfrist übersandter Güteantrag ist nicht mehr im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB "demnächst" bekanntgegeben worden, wenn dem Antragsteller bei Einreichung bekannt war, dass der mit nur einem Schlichter besetzten Gütestelle gleichzeitig weitere 12.000 gleichsam "in letzter Sekunde" verfasste Güteanträge übersandt wurden und etliche weitere Gütestellen zur Bearbeitung des Güteantrags zur Verfügung gestanden hätten.
5. Will ein Gläubiger ein Verfahren, dessen Einleitung die Verjährung hemmt, nach den Gesamtumständen in Wahrheit überhaupt nicht betreiben, sondern geht es ihm einzig darum, die Antragsschrift rechtzeitig vor Vollendung der Verjährung einzureichen, kommt dem aus Gründen des Rechtsmissbrauchs keine verjährungshemmende Wirkung zu. Die auf den ersten Blick erkennbare inhaltliche Mangelhaftigkeit des Güteantrags kann ein selbstständiges Beweisanzeichen dafür sein, dass der Gläubiger seinen Anspruch (noch) nicht mit Ernsthaftigkeit verfolgt.
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 4, § 242; ZPO §§ 256, 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Tenor
Das Verfahren wird nicht ausgesetzt.
Das Versäumnisurteil des Senats vom 11.5.2015 wird mit folgender Maßgabe aufrechterhalten: Das angefochtene Urteil wird zu 1. seines Tenors dahin abgeändert, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird.
Der Kläger trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der aufgrund des Urteils vollstreckbaren Beträge abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstands für die erste und zweite Instanz wird - zugleich unter Abänderung der im angefochtenen Urteil erfolgten erstinstanzlichen Festsetzung - einheitlich auf 36.850,76 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz wegen behaupteter fehlerhafter Kapitalanlageberatung in Anspruch.
Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Mit diesem Urteil hat das LG die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Feststellungsklage seien hier nicht gegeben. Da eine Schadensberechnung möglich sei, gelte der prozessuale Vorrang der Leistungsklage. Ergänzend hat das LG angenommen, dass die Klage jedenfalls auch unbegründet wäre. Wegen der Einzelheiten der Begründung des angefochtenen Urteils wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, hier gebe es keinen Vorrang der Leistungsklage. Das LG habe zudem rechtsfehlerhaft auch Ausführungen zur Begründetheit gemacht. Im Übrigen habe es die Anforderungen an die Substantiierung seines Vorbringens überspannt, die Fehlerhaftigkeit des streitbefangenen Emissionsprospekts verkannt, übersehen, dass die Beklagte ihn auch nicht auf andere Weise als durch de...