Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrlässige Tötung: Erfolgszurechnung an mittelbaren Verursacher
Leitsatz (amtlich)
Verhalten sich bei einem Überholvorgang sowohl der überholende als auch der überholte Fahrzeugführer pflichtwidrig und veranstalten spontan eine einem illegalen Rennen zumindest vergleichbare "Kraftprobe", so wird die Zurechnung der Folgen eines hierdurch verursachten Unfalls an den mittelbaren Verursacher nicht durch das sog. Verantwortungsprinzip ausgeschlossen, wenn die geschädigten Beifahrer des unmittelbaren Verursachers keinen beherrschenden Einfluss auf das Geschehen hatten.
Normenkette
StGB § 222
Verfahrensgang
LG Bückeburg (Entscheidung vom 08.09.2011; Aktenzeichen 4 Ns 304 Js 2457/10 (23/11)) |
AG Stadthagen (Entscheidung vom 28.01.2011) |
Gründe
I. 1. Durch Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 8. September 2011 - 4 Ns 304 Js 2457/10 (23/11) - ist auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Stadthagen vom 28. Januar 2011 aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst worden:
"Der Angeklagte ist der Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig. Er wird deswegen zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt.
Dem Angeklagten wird die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen und sein Führerschein eingezogen. Die Fahrerlaubnisbehörde wird angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 3 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen."
Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Gleichzeitig hatte es ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen, den Führerschein des Angeklagten eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 3 Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Im Übrigen hat es den Angeklagten vom Vorwurf der Verkehrsunfallflucht freigesprochen.
Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger A. A. hatten ihre Berufungen wieder zurückgenommen.
2. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Am 2.4.2010 fuhr der Angeklagte gegen 14.30 Uhr von seiner Wohnung in H. mit seinem BMW Z 4 auf der Bundesstraße 442 nach B. N. Zwischen Ha. und K. fuhr ebenfalls der Zeuge S. mit seinem Pkw Toyota Corolla mit einer Geschwindigkeit von 70 - 80 km/h zunächst vor dem Angeklagten. Als die Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h aufgehoben wurde, scherte der Angeklagte aus, überholte den Zeugen S. und scherte so knapp wieder vor dem Zeugen ein, dass dieser erschrak und ganz unwillkürlich auf die Bremse trat. Der herannahende Gegenverkehr musste aber wegen dieses Überholmanövers nicht abbremsen; auch für den Zeugen S. bestand keine konkrete Gefahr. Der Angeklagte überholte noch zwei bis drei weitere Fahrzeuge, so dass er in der Ortschaft K. nicht unmittelbar vor dem Zeugen S. fuhr.
Innerhalb von K. fuhr der Angeklagte auf das Fahrzeug der Zeugin G. Sch. auf und blieb mit angepasster Geschwindigkeit zunächst hinter ihr. Vor der Zeugin Sch. fuhr ein weißer Golf und an der Spitze der Kolonne fuhr der Nebenkläger A. mit seinem BMW 520i, der mit seiner Ehefrau C. I. A. auf dem Beifahrersitz, seinem einjährigen Sohn H. auf dem rechten Rücksitz, seiner Schwägerin A. K. auf dem mittleren Rücksitz und seiner Tochter M. auf dem linken Rücksitz besetzt war. Alle Insassen waren angeschnallt; die Kinder befanden sich in Kindersitzen. Nach Erreichen des Ortsausgangsschildes beschleunigten der Angeklagte und die vor ihm fahrenden Fahrzeuge. Die Fahrbahn vor dem Nebenkläger war vollkommen frei. Er hatte keine Eile. Die vor dem Nebenkläger liegende Strecke war diesem bestens bekannt. Die Strecke vom Ortsausgangsschild bis zur späteren Unfallstelle beträgt etwa 670 Meter.
Dem Angeklagten war bereits etwa 100 m nach dem Ortsausgangsschild die Beschleunigung/Geschwindigkeit der vor ihm fahrenden Kolonne zu gering, so dass er hinter dem Fahrzeug der Zeugin Sch. ausscherte und weiter beschleunigte, um dieses und die vorausfahrenden Fahrzeuge zu überholen. Er brach aber seinen Überholvorgang bereits nach etwa fünf Sekunden bei einer Geschwindigkeit von ca. 125 km/h wieder ab, da ihm zwei Motorradfahrer entgegenkamen. Um wieder einscheren zu können, bremste er mit einer Verzögerung von ca. 4,0 m/s2 ab.
Der Angeklagte scherte vor der Zeugin G. Sch., die selbst mit 80 km/h fuhr, knapp wieder ein, so dass sich diese erschrak. Nach Abschluss dieses Überholvorgangs befand sich der Angeklagte ca. 253 Meter hinter dem Ortsausgangsschild.
Es dauerte weitere zwei Sekunden, in denen er 44 Meter zurücklegte, bis die Motorradfahrer den Angeklagten auf der Gegenfahrbahn passiert hatten. Danac...