Normenkette
EuGVVO Art. 9 Abs. 1 Buchst. b, Art. 11 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 22.11.2006; Aktenzeichen 8 O 104/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.11.2006 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Verden aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 57.907,75 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin macht gegen die Beklagte, ein in Polen ansässiges Versicherungsunternehmen, Schadensersatzansprüche aus einem von einem polnischen Versicherungsnehmer der Beklagten in Polen am 7.11.2002 verursachten Verkehrsunfall geltend, für dessen Folgen die Beklagte unstreitig zu 100 % einzustehen hat. Bei dem Unfall wurde das vom Geschäftsführer der Klägerin geführte Fahrzeug Audi A 6 Quattro der Klägerin beschädigt. Hierfür verlangt die Klägerin über von der Beklagten vorgerichtlich bereits gezahlte 20.965,52 EUR hinaus weitere 8.620,68 EUR als offenen Differenzbetrag zu dem von ihr auf der Basis eines von ihr eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Kai-Uwe Roßner vom 18.11.2002 ermittelten Wiederbeschaffungsaufwands von 29.586,20 EUR netto.
Ferner begehrt sie - vorrangig aus eigenem, hilfsweise aus abgetretenem Recht ihres Geschäftsführers - Erstattung des an ihren bei dem Unfall verletzten Geschäftsführer in der Zeit von dessen Krankschreibung zwischen dem 7.11.2002 bis 28.2.2003 fortgezahlten Geschäftsführergehalts von 49.287,07 EUR (einschließlich 2.968,14 EUR Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das LG hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen. Es hat gemeint, die Klägerin sei nicht als Begünstigte i.S.d. Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b EuGVVO anzusehen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die die Rechtsauffassung des LG zur Frage der internationalen Zuständigkeit als fehlerhaft angreift und im Übrigen zur sachlichen Begründung ihrer Ansprüche ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie - die Klägerin - 57.907,75 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. das Verfahren gem. § 538 ZPO an das LG Verden zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und verweist ergänzend darauf, auch nach der Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007 fehle es im vorliegenden Fall weiterhin an einer Zuständigkeit des LG Verden, da die Klägerin nicht als Unfallopfer i.S.d. Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 Buchstabe b EuGVVO angesehen werden könne, weil sie nicht in besonderem Maße schutzbedürftig sei, wie die genannten Bestimmungen voraussetzten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.I. Die zulässige Berufung der Klägerin führt auf deren Antrag zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das LG.
1. Die Auffassung des LG, die deutschen Gerichte seien zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits international nicht zuständig, weshalb die Klage unzulässig sei, ist rechtsfehlerhaft. Sie beruht auf einer unzutreffenden Auslegung von Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 Buchstabe b EuGVVO.
Wie der EuGH aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des BGH vom 26.9.2006 (NJW 2007, 71) in seinem Urteil vom 13.12.2007 (C-463/06), dem sich der Senat anschließt, entschieden hat, ist die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b EuGVVO dahin auszulegen, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedsstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist.
Die beiden letztgenannten Voraussetzungen sind hier unstreitig erfüllt. Entgegen der im Schriftsatz vom 8.2.2008 geäußerten Auffassung der Beklagten ist die Klägerin auch als "Geschädigte" i.S.d. Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b EuGVVO anzusehen. Wie der EuGH in der eingangs zitierten Entscheidung (dort Rz. 26) ausgeführt hat, besteht die Funktion der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO darin, der in Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b EuGVVO enthaltenen Liste von Klägern die Personen hinzuzufügen, "die einen Schaden erlitten haben". Darunter fällt auch die Klägerin, denn sie macht geltend, durch den streitgegenständlichen Unfall einen Schaden an dem ihr gehörenden Kfz sowie einen eigenen Vermögensschaden durch die Lohnfortzahlung an ihren Geschäftsführer erlitten zu haben; auf abgetretene Ve...