Entscheidungsstichwort (Thema)
Europarechtskonformität des "Policenmodells" für Versicherungen
Leitsatz (amtlich)
Die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ist auch mit den Bestimmungen der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen nicht in Einklang zu bringen; die Bestimmung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ist einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich; auf der Grundlage der Gesetzesbegründung kann die Bestimmung teleologisch dahingehend reduziert werden, dass sie (lediglich) auf Lebensversicherungsverträge keine Anwendung findet.
Normenkette
VVG a.F. § 5a Abs. 2 S. 4; EGRL 83/2002
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 03.09.2013; Aktenzeichen 5 O 308/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 3.9.2013 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Lüneburg unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.732,70 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 28.3.2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt Rückzahlung der von ihm erbrachten Versicherungsprämien nach Widerspruch gegen das Zustandekommen eines Versicherungsvertrags.
Im Jahr 2004 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss eines fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrags. Die Beklagte nahm diesen Antrag durch Übersendung des Versicherungsscheins vom 10.8.2004 (Bl. 16, 17 d.A.) an. Mit dem Versicherungsschein übersandte die Beklagte die Verbraucherinformationen und die Versicherungsbedingungen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.10.2009 (Bl. 18, 19 d.A.) erklärte der Kläger den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Versicherungsvertrags. In diesem Schreiben führte er u.a. aus, dass die Verbraucherinformationen unvollständig und die Belehrung fehlerhaft gewesen sei.
Die Beklagte behandelte den Widerspruch als Kündigung (Bl. 20 d.A.) und zahlte dem Kläger den Rückkaufswert i.H.v. 2.147,98 EUR aus.
Der Kläger meint, dass die Beklagte gem. § 812 Abs. 1 BGB zur Rückzahlung der Prämien einschließlich der gezogenen Nutzungen verpflichtet sei. Die Zahlung der Prämien sei ohne Rechtsgrund erfolgt, weil der Kläger dem Zustandekommen des Vertrags widersprochen habe. Die Widerrufsbelehrung der Beklagten sei mangels drucktechnischer Hervorhebung und mangels Hinweises auf die Möglichkeit eines Widerspruchs in Textform nicht ordnungsgemäß erfolgt. Das habe zur Folge, dass Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. nicht in Gang gesetzt worden sei. Aber auch die in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. geregelte Ausschlussfrist hindere den Kläger nicht an der nachträglichen Ausübung des Widerrufsrechts, denn diese Bestimmung sei europarechtswidrig. Dasselbe gelte für den Abschluss des Vertrags im sog. Policenmodell.
Daneben stehe ihm aber auch ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz zu, denn er sei nicht ordnungsgemäß und außerdem zu späte über sein Widerspruchsrecht aufgeklärt worden. Darüber hinaus sei keine zureichende Aufklärung über die versteckten Vertragskosten und die Wertentwicklungsmöglichkeiten erfolgt (Bl. 65 d.A.).
Er begehrt Rückzahlung seiner Prämien i.H.v. 11.400 EUR abzgl. des ausgezahlten Rückkaufswerts, sowie Zahlung der von der Beklagten aus den Prämien gezogenen Nutzungen. Außerdem begehrt er Erstattung der vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.732,70 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit i.H.v. 1.101,46 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch bestehe nicht. Die Belehrung sei ordnungsgemäß erfolgt mit der Folge einer Präklusion des Widerspruchsrechts. Das Policenmodell sei nicht europarechtswidrig. Ein etwaiges Widerspruchsrecht sei durch die langjährige Prämienzahlung durch den Kläger verwirkt.
Mit Urteil vom 3.9.2013 (Bl. 150 - 151 R d.A.) hat das LG die Klage abgewiesen. Ob der Kläger ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei, könne dahingestellt bleiben. Jedenfalls scheitere der Widerspruch am Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Diese Bestimmung sei nicht auslegungsfähig, so dass auch ein etwaiger Verstoß gegen europäisches Recht ohne Auswi...