Leitsatz (amtlich)
Die Verwendung des Begriffspaares "und/oder" in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach welcher der Verwender nur "im Falle der schuldhaften Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht (Kardinalpflicht)" haftet, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Die abstrakte Erläuterung des Begriffs der Kardinalpflicht ist dem Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 08.04.2008; Aktenzeichen 18 O 256/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 18. Zivilkammer des LG Hannover vom 8.4.2008 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, nachfolgende oder diesen inhaltsgleiche Bestimmungen in Verträge über die Vermittlung geschlossener Immobilienfonds (Immobilienfonds "Immobilienfonds...") mit Verbrauchern einzubeziehen sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge zu berufen:
1. A. GmbH und/oder deren Mitarbeiter/Handelsvertreter haften nur im Falle der schuldhaften Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht (Kardinalpflicht) und/oder grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzungen und/oder Verletzung des Körpers, Gesundheit und des Lebens.
2. Eventuelle Schadensersatzansprüche gegen A. GmbH und/oder deren Mitarbeiter/Handelsvertreter, gleich aus welchem Rechtsgrund, verjähren - vorbehaltlich kürzerer gesetzlicher Verjährungsfristen - mit Ablauf des auf das Jahr, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt, oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen müsste, folgenden Jahres, längstens jedoch - ohne Rücksicht auf Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis - in drei Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.
(Diese Regelung gilt nicht für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten.)
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 200 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.10.2007 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist abzuändern und die Beklagte zur Unterlassung auch der "Haftungsklausel" zu verurteilen.
Das LG hat die von der Beklagten verwendete "Haftungsklausel" (Bl. 14 d.A.) nicht beanstandet. Das LG hat dazu ausgeführt, für einen aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr sei der Umfang der Haftung der Beklagten erkennbar (S. 6 LGU). Trotz der Verwendung des Begriffs "Kardinalpflicht" und ihrer Auslegungsbedürftigkeit sei für den Verbraucher erkennbar, dass eine Haftung der Beklagten nur bei der Verletzung von Pflichten in Betracht kommt, die ihren Kern im Bereich der Beratung habe (S. 6 LGU).
Die dagegen eingelegte Berufung hat Erfolg.
Mit der von der Beklagten verwendeten Haftungsklausel will sie ihre Haftung beschränken. Im Rahmen einer Kapitalanlagevermittlung führt jede Vertragsverletzung dem Grunde nach zur Ersatzpflicht des Vermittlers. Eine Ersatzpflicht besteht also auch für die Verletzung von Vertragspflichten, die nicht "wesentlich" sind. Die Klausel soll die Haftung der Beklagten auf die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten beschränken und beinhaltet daher entgegen der Auffassung des Klägers (Bl. 145 d.A.) nicht nur die Erläuterung des bestehenden Haftungssystems, sondern soll darüber hinaus einer Reduzierung der Haftung der Beklagten dienen.
Die von der Beklagten verwendete Klausel verstößt gegen das "Transparenzgebot" des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
1. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt allerdings nicht schon darin, dass die Beklagte in ihrer Klausel die Kombination "und/oder" verwendet. Die Verwendung dieses Wortpaares in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist vom BGH nicht beanstandet worden (vgl. BGH VersR 2008, 395). Diese Regelungstechnik findet auch in zahlreichen Gesetzen Anwendung (z.B. § 2 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV; § 70 Abs. 1 Nr. 5d) StVZO). Wenn sich schon der Gesetzgeber in Normen mit dem Begriffspaar "und/oder" an den gewaltunterworfenen Bürger wendet, kann der Beklagten durch die Verwendung eben dieses Begriffspaares kein Verstoß gegen das Transparenzgebot angelastet werden.
2. Jedoch verstößt die verwendete Formulierung "wesentliche Vertragspflicht" gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine Klausel unzulässig, in welcher die Haftung auf die Verletzung von Kardinalpflichten begrenzt wird (BGH NJW-RR 2005, 1496 - 1506). Einem juristischen Laien erschließt ...