Verfahrensgang
AG Dresden (Aktenzeichen 54 F 1159/00) |
AG Dresden (Aktenzeichen 414 VIII 74/00) |
Tenor
Zuständig für die Anordnung der Ergänzungspflegschaft und für die Auswahl des Pflegers ist das Amtsgericht – Familiengericht – Dresden.
Tatbestand
I.
In einem gegen die Beteiligte zu 2) geführten Ermittlungsverfahren wegen Anstiftung des gemeinsamen Sohnes xxxxxxxx zum Diebstahl zum Nachteil ihres von ihr getrennt lebenden Mannes beantragte die Staatsanwaltschaft am 5. April 2000 beim Amtsgericht Dresden, eine Ergänzungspflegschaft mit folgendem Wirkungskreis
- Zustimmung zur Untersuchung der Kinder nach § 81 c StPO über etwaige Verletzungen.
- Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht für die behandelnden Ärzte der Kinder.
- Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO.
Zustimmung zur Mitwirkung der Kinder bei der Erstattung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Glaubwürdigkeit,
sowie
- Aufenthaltsbestimmung in Bezug auf die angeführten Untersuchungshandlungen und Zeugenvernehmungen
anzuordnen und das Jugendamt xxxxxxx zum Ergänzungspfleger zu bestellen. Das Vormundschaftsgericht gab den Antrag mit Beschluss vom 25. April 2000 an das Familiengericht ab, da es sachlich nicht zuständig sei. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 8. Mai 2000 ebenfalls für sachlich unzuständig und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
II.
Das Oberlandesgericht Dresden ist zur Entscheidung zuständig. Vormundschafts- und Familiengericht haben sich „rechtskräftig” für unzuständig erklärt. Bei der hier gegebenen entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr.6 ZPO genügt die jeweils tatsächliche und als verbindlich gewollte Kompetenzleugnung (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 10 ARf 34/98 = NJW 1999, 797). Ebenso spielt es keine Rolle, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft inhaltlich verfehlt ist.
Sachlich zuständig ist das Familiengericht. Die Beteiligte zu 2) ist Beschuldigte in dem gegen sie geführten Ermittlungsverfahren und deshalb rechtlich gehindert, über die Ausübung des ihrem Kind zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu befinden. Für diesen Fall bestimmt § 1693 BGB in der durch Art. 1 Nr.46 KindRG geänderten und seit 1. Juli 1998 geltenden Fassung, dass das Familiengericht die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln zu treffen hat. Zu diesen Maßregeln gehört auch die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 BGB bei rechtlicher Verhinderung der Eltern an der Ausübung der elterlichen Sorge (OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 1601; Palandt-Diederichsen, BGB, 59. Aufl., § 1909 Rdnr. 1, 5). Die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts hierfür ergibt sich klar aus der Neufassung des Gesetzes; das Kindschaftsreformgesetz hat mit § 1693 BGB bewußt eine von §§ 1915, 1774 BGB abweichende Regelung über die Anordnungskompetenz getroffen, um für Verfahren, welche die elterliche Sorge betreffen, eine einheitliche Zuständigkeit des Familiengerichts zu begründen (vgl. BT-Drucksache 13/4988, S. 71, 109; PfälzOLG Zweibrücken, Rpfleger 1999, 489). Dabei ist der durch Art. 1 Nr. 26 KindRG eingefügte § 1697 BGB nicht als § 1693 BGB einschränkende Spezialvorschrift zu verstehen; sie erweitert vielmehr die aus § 1693 BGB abzuleitende Anordnungskompetenz des Familiengerichts um eine bis zum 30. Juni 1998 nicht gegebene Auswahlkompetenz, um das Verfahren zu beschleunigen und zu straffen. Der abweichenden Meinung – § 1693 BGB beschränke sich auf dringliche Fälle (OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 568, ebenso: Staudinger-Coester, BGB, 12. Aufl., § 1693 Rdnr. 1 sowie Bienwald [FamRZ 1999, 1602] und Niepmann [MDR 2000, 619]) vermag der Senat nicht näher zu treten. Streitigkeiten darüber, ob nun ein Eilfall vorliegt oder nicht, werden dadurch vorprogrammiert. Dem Kompetenzgerangel, welches der Gesetzgeber durch die Einführung des § 1697 BGB gerade vermeiden wollte, wird kein Riegel vorgeschoben; es wird nur auf eine andere Ebene verlagert (ebenso Coester, FamRZ 2000, 439 [”sachlich kaum nachvollziehbare Abgrenzungen”]). Der Senat ist mit dem OLG Stuttgart (a.a.O.), dem PfälzOLG Zweibrücken (a.a.O.) und dem BayObLG (FamRZ 2000, 568) der Auffassung, dass dem Familiengericht seit 1. Juli 1998 eine generelle Anordnungsbefugnis zukommt.
Aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der gebotenen Beschleunigung bestimmt der Senat in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO das Amtsgericht – Familiengericht – Dresden auch für die Auswahl des Pflegers gemäß § 1697 BGB als zuständig (vgl. BayObLG, a.a.O.).
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass die förmliche Bestellung des Pflegers durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Pflegschaft (§§ 1915, 1789 BGB) sowie Beratung und Beaufsichtigung (§§ 1915, 1837 BGB) nach wie vor Sache des Vormundschaftsgerichts ist (Palandt-Diederichsen, a.a.O., § 1697 Rdnr. 1; FamRefK/Rogner, § 1667 Rdnr. 5; BayObLG, a.a.O.).
Fundstellen