Leitsatz (amtlich)
›Eine sächsische Polizeiverordnung, die einen Anleinzwang für Hunde im Gemeindegebiet anordnet, findet ihre Ermächtigungsgrundlage im Polizeigesetz des Freistaates Sachsen. Sie verstößt jedenfalls dann gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie keine Ausnahmen vom allgemeinen Anleinzwang vorsieht. Die geltende "Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig" vom 19. Mai 2004 entspricht insoweit den Anforderungen, weil im Stadtgebiet von Leipzig Freilaufflächen für Hunde (so genannte Hundewiesen) in beträchtlicher Anzahl vorhanden sind.‹
Verfahrensgang
AG Leipzig (Entscheidung vom 15.11.2005; Aktenzeichen 211 OWi 701 Js 44193/05) |
Gründe
I.
Das Amtsgericht Leipzig hat die Betroffene am 15. November 2005 wegen vorsätzlichen Nichtführens des Hundes an der Leine auf öffentlichen Flächen, die nicht als Freilauffläche ausgewiesen sind, zu einer Geldbuße von 70,00 EUR verurteilt.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Betroffene am 10. März 2005 in der Zeit von 09.30 Uhr bis 09.45 Uhr im Naherholungsgebiet Silbersee in 04279 Leipzig, Ausgang B.-Kellermann-Straße einen Hund nicht an der Leine, obwohl der fragliche öffentliche Platz nicht als Frei(lauf)fläche (für Hunde) ausgewiesen ist. Der Hund lief unangeleint in einem Abstand von circa vier Metern neben der Betroffenen. Im fraglichen Bereich befanden sich keine sonstigen Personen oder Tiere.
Gegen das Urteil hat die Betroffene durch ihren Verteidiger rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und zugleich beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen. Mit der Sachrüge macht der Verteidiger insbesondere geltend, dass die Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Leipzig hinsichtlich ihrer Regelung über den Leinenzwang für Hunde im gesamten Stadtgebiet gegen höherrangiges Recht sowie das verfassungsrechtliche Bestimmtheits- und Übermaßgebot verstoße und daher unwirksam sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Mit Beschluss vom heutigen Tage hat der Senat - Der Einzelrichter - die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 15. November 2005 zur Fortbildung des Rechts zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu Lasten der Betroffenen aufgedeckt.
1. Die Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Regelungen des § 18 Abs. 1 Nr. 23 i.V.m. § 15 Abs. 3 der Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig (Beschluss der Ratsversammlung vom 19. Mai 2004, veröffentlicht im Leipziger Amtsblatt Nr. 12 vom 12. Juni 2004).
Gemäß § 15 Abs. 3 der vorgenannten Polizeiverordnung müssen "Hunde ... auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sowie in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen, sofern diese nicht als Freilaufflächen ausgewiesen sind, zum Schutz von Mensch und Tier stets von einer geeigneten Person an der Leine geführt werden".
Ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen die genannte Vorschrift kann gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 23 i.V.m. mit Absatz 2 der Polizeiverordnung mit einer Geldbuße von 5,00 bis 1.000,00 EUR, bei fahrlässigem Handeln bis 500,00 EUR, geahndet werden.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Betroffene am 10. März 2005 in der Zeit von 09.30 Uhr bis 09.45 Uhr im Naherholungsgebiet Silbersee in 04279 Leipzig, Ausgang B.-Kellermann-Straße, einen Hund nicht an der Leine, obwohl der öffentliche Platz nicht als Freifläche ausgewiesen ist. Der Hund lief unangeleint in einem Abstand von circa vier Metern neben der Betroffenen. Es herrschten Außentemperaturen von circa minus drei bis minus vier Grad und es befanden sich in diesem Bereich keine sonstigen Personen oder Tiere. Vorsätzliches Handeln der Betroffenen in Kenntnis des Leinenzwangs hat das Amtsgericht daraus entnommen, dass die Betroffene nach ihren eigenen Angaben den zuvor nicht angeleinten Hund unverzüglich angeleint habe, nachdem sie ein Fahrgeräusch wahrgenommen hatte.
2. Die Polizeiverordnung der Stadt Leipzig vom 19. Mai 2004 ist wirksam; sie verstößt insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht.
a) Ermächtigungsgrundlage für die genannte Polizeiverordnung ist § 9 Abs. 1 i.V.m. den §§ 1 Abs. 1 und 14 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen (SächsPolG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. August 1999 (SächsGVBl S. 466). Danach können die örtlichen Polizeibehörden (hier der Gemeinderat der Stadt Leipzig) zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Sächsischen Polizeigesetz (hier der Gefahrenabwehr) Polizeiverordnungen zur Abwehr abstrakter Gefahren erlassen. Dass von jedem Hund, unabhängig von seiner Rasse und Größe, abstrakte Gefahren ausgehen, ist unzweifelhaft. So hat das Bundesverwalt...