Leitsatz (amtlich)
"Sexualisierte" Verhaltensweisen von Kindern können je nach den konkreten Umständen auch Ausdruck eines Entwicklungs- und Reifeprozesses sein, sie sind nicht zwangsläufig Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch.
Verfahrensgang
AG Chemnitz (Beschluss vom 18.06.2012; Aktenzeichen 4 F 85/12) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Chemnitz vom 18.6.2012 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des am 25.12.2008 geborenen Kindes M. Eine Erklärung zur gemeinsamen elterlichen Sorge haben sie nicht abgegeben.
Mit Beschluss vom 18.6.2012 hat das AG - Familiengericht - Chemnitz dem Antragsteller auf dessen Antrag hin die elterliche Mitsorge für den Sohn M. übertragen.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie erreichen will, dass es bei ihrer alleinigen elterlichen Sorge verbleibt. Sie macht u.a. geltend, es bestehe der Verdacht des sexuellen Missbrauchs des Kindes durch den Antragsteller mit der Folge, dass das Elternverhältnis von Misstrauen und Vorwürfen geprägt sei. Eine gemeinsame elterliche Sorge widerspreche daher ihrer Ansicht nach dem Kindeswohl. Sie rügt ferner, dass das Familiengericht davon abgesehen habe, zur Aufklärung des Verdachts des sexuellen Missbrauchs ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Familiengericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes M. entspricht.
1. Nach der Entscheidung des BVerfG zur gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern vom 21.7.2010 (BVerfGE 127, 132 = FamRZ 2010, 1403) ist die streitentscheidende Bestimmung des § 1626a BGB a.F. bis zum Inkrafttreten ihrer Neufassung am 19.5.2013 (s. Art. 7 des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16.4.2013, BGBl. I, 795) mit der Maßgabe weiter anzuwenden, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Durch diesen Prüfungsmaßstab ist sichergestellt, dass die Belange des Kindes maßgebliche Berücksichtigung finden, jedoch die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1403 [1420]).
2. Die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge entspricht dem Wohl des Kindes M.
Der Senat hat sich dabei von folgenden Erwägungen leiten lassen:
2.1. Die Eltern haben im Senatstermin am 13.9.2012 eine Umgangsvereinbarung getroffen, die nachfolgend in die Praxis umgesetzt worden ist. Zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn besteht eine positive und durch die Umgangskontakte in der Vergangenheit gefestigte Bindung. Anhaltspunkte dafür, dass der Umgang dem Wohl und den Wünschen des Kindes widersprechen würde, bestehen nicht. Vielmehr haben nach der übereinstimmenden Darstellung der Eltern im Senatstermin am 11.4.2013 "die Umgänge mit den Übernachtungen grundsätzlich funktioniert". Die Antragsgegnerin hat hierzu weiter ausgeführt, dass "sich M. in letzter Zeit auch auf den Umgang mit dem Vater freue". Es ist daher auch aus der Sicht des beteiligten Kindes naheliegend, dass der Antragsteller für seinen Sohn im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge Verantwortung übernimmt.
2.2. Der Antragsteller zeigt ebenso wie die Antragsgegnerin ein reges Interesse an den Belangen des Kindes und zudem eine deutliche Bereitschaft, sich positiv im Sinne der Kindesinteressen für seinen Sohn M. einzusetzen. In den Grundfragen der Erziehung und Betreuung des Kindes bestehen keine Differenzen der Eltern. Der Antragsteller akzeptiert den Aufenthalt des Kindes im Haushalt der Antragsgegnerin. Er hat sich ferner damit einverstanden erklärt, dass M. griechisch-orthodox getauft wird. Darüber hinaus konnten der Antragsteller und die Antragsgegnerin Einigkeit über die Vorstellung des Kindes bei einer weiteren Therapeutin und den Verbleib des Kindes im bisherigen Kindergarten erzielen. Schließlich hat der Antragsteller auf Wunsch der Antragsgegnerin die schriftliche Erlaubnis erteilt, dass deren neuer Lebenspartner M. vom Kindergarten abholen darf.
2.4. Zwischen den Eltern bestand auch nach ihrer Trennung im April/Mai 2011 eine tragfähige soziale Beziehung. Die Antragsgegnerin selbst hat hierzu vorgetragen, dass der Umgang einvernehmlich geregelt worden sei und "man sich zudem noch über die wichtigsten Belange des Kindes unter Inanspruchnahme professioneller Hilfe habe verständigen können". So schlossen der Antragsteller und die Antragsgegnerin eine schriftliche Elternvereinbarung, in der sie die Erziehung und Betreuung des Kindes M. nach ihrer...