Leitsatz (amtlich)
Eine bewusst unvollständige Berichterstattung, die einer unwahren Tatsachenbehauptung gleichsteht, liegt nicht bereits darin, dass die Wiedergabe einer wissenschaftlichen Position des Betroffenen in einer Tageszeitung nur vergröbert erfolgt und nicht sämtliche Differenzierungen dieser Position nachzeichnet (Festhaltung von Senat, Beschluss vom 27.11.2019 - 4 U 1282/18).
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 1a O 530/19) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht. Das Landgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu Recht verneint.
Der Senat hat im Beschluss vom 27.11.2018 zu dem gleichgelagerten Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren (4 U 1282/18) ausgeführt:
"2. Einen Verfügungsanspruch wegen einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG hat der Kläger indes nicht. Die streitgegenständlichen Äußerungen sind bei Abwägung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen.
a) Anders als die Beklagte meint, handelt es sich allerdings bei der streitgegenständlichen Äußerung nicht um eine bloße Meinungsäußerung, sondern um eine Tatsachenbehauptung. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (BGH VersR 1999, 1162; NJW-RR 1999, 1251 m.w.N.; BVerfG NJW 1992, 1439, 1440). Die Abgrenzung ist nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Adressaten vorzunehmen. Auszugehen ist vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann; bei der Deutung sind daher der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind.
Wird über bestimmte Einstellungen einer Person berichtet, liegt einer solchen Berichterstattung immer ein subjektives Element zugrunde, weil schon die Auswahl, was als berichtenswert angesehen wird, durch die persönlichen Anschauungen des Verfassers geprägt ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine solche Berichterstattung mit Blick hierauf stets als Meinungsäußerung anzusehen wäre. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob sich die zugrunde liegende Darstellung in der bloßen Wahrnehmung eines Sachverhalts erschöpft, die mit Beweismitteln zu überprüfen wäre, oder über diesen Deklarationssatz hinaus eine eigenständige Bewertung dieses Sachverhalts enthält. Ist letzteres der Fall, muss dies in der Berichterstattung zudem nicht lediglich vorausgesetzt sein, sondern für den Leser erkennbar zum Ausdruck gebracht werden. Eine solche Bewertung enthält die streitgegenständliche Äußerung hier indes nicht. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Wiedergabe dessen, was der Kläger nach Auffassung des Verfassers des Artikels tatsächlich geschrieben hat. Diesem Rezeptionsvorgang liegt notwendigerweise ein Erkenntnis- und Verstehensprozess zugrunde, der auch wertende Elemente enthält, die in dem Artikel selbst jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden. Insbesondere findet sich dort an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass der Erkenntnis, der Kläger habe G... E... die "moralische Legitimation" abgesprochen, ein eigenständiger Subsumtionsvorgang des Artikelverfassers zugrunde liegt. Für sich genommen stellt die streitgegenständliche Äußerung eine wahre Tatsachenbehauptung dar, weil sich der Kläger in seinen verschiedenen als Anlage ASt. 2 vorgelegten Veröffentlichungen in diesem Sinne ausgesprochen hat. Wörtlich heißt es dort etwa in der Zusammenfassung auf S. 51: "Nach Abwägung der wesentlichen Gesichtspunkte bleibt nur das Urteil übrig, dass es sich bei dem Anschlag von E... um eine Tat gehandelt hat, deren Ausführungsweise moralisch nicht zu rechtfertigen ist".
b) Einer unwahren Tatsachenbehauptung steht allerdings die bewusst unvollständige Berichterstattung gleich. Wenn dem Leser Tatsachen mitgeteilt werden, aus denen er erkennbar eigene Schlussfolgerungen ziehen soll, dürfen ihm keine wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die dem Vorg...