Leitsatz (amtlich)
1. Eine Äußerung, deren Schwerpunkt im Tatsächlichen liegt, ist auch dann gegendarstellungsfähig, wenn sie zur Begründung einer Meinungsäußerung dient.
2. Bei der Auslegung eines im Online-Angebot einer Mediathek eingestellten Beitrags ist nicht auf einen flüchtigen Betrachter, sondern auf das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittszuschauers abzustellen.
3. Das berechtigte Interesse an einer Gegendarstellung kann wegen Belanglosigkeit nur dann verneint werden, wenn die Ausgangsmitteilung ohne Gewicht für das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ist und keinerlei Informationswert besitzt.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 2008/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Beklagte hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 1.12.2020 wird aufgehoben.
4. Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30.9.2020 einstweilen einzustellen, wird abgelehnt.
5. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 10.000,- EUR und für das Verfahren erster Instanz auf 20.000,- EUR festzusetzen.
Gründe
I. Der Verfügungskläger (Kl.) ist Vorsitzender der xxx-Fraktion im Stadtrat von E ... sowie "migrationspolitischer Sprecher" der xxx-Fraktion im Landtag von YYY. Er verlangt von der Verfügungsbeklagten (Bekl.) eine Gegendarstellung zu einem am 28.8.2020 auf deren Website eingestellten Sommerinterview mit dem YYY Ministerpräsidenten ... . Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.8.2020 hat er der Verfügungsbeklagten zunächst ein Gegendarstellungsverlangen bezüglich zweier Äußerungen ("Pipi-Schlange" und "Affe mit Mittelfinger", vgl. im Einzelnen den Tatbestand des angefochtenen Urteils) zugeleitet; nach dessen Zurückweisung hat er diesen Antrag modifiziert. Eine Gegendarstellung verlangt er nunmehr lediglich noch bezüglich der zweiten Äußerung, bei der zudem die Ausgangsmitteilung um einen Satz gekürzt wurde. Das Landgericht hat die begehrte einstweilige Verfügung erlassen. Es handele sich bei dem zweiten Antrag um eine zulässige Modifizierung, weil in beiden Fällen dieselbe Ausgangsmitteilung angegriffen wurde; hierin liege lediglich eine Beschränkung des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 ZPO. Das Gegendarstellungsverlangen sei gegen eine Tatsachenbehauptung gerichtet, weil der Ministerpräsident in dem Interview einen direkten Zusammenhang zwischen dem Bild eines Affen und einem auf dem Blog des Klägers enthaltenen Beitrag zu Flüchtlingen hergestellt habe. Ein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung liege vor, weil die begehrte Gegendarstellung weder offenkundig unwahr noch irreführend sei und die Äußerung auch nicht als belanglos für den Kl. anzusehen sei. Soweit der Kl. seinen Antrag beschränkt habe, habe er allerdings die Kosten zu tragen.
Mit der Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, das Landgericht habe den Aussagegehalt der Erstmitteilung unzutreffend ermittelt und nicht gewürdigt, dass der Ministerpräsident die Äußerung in einer emotionalen Situation gemacht habe und ersichtlich nur die Verwendung des Fotos eines Affen durch den Kläger habe kommentieren wollen; es sei daher auch unter Berücksichtigung der konkreten Life-Interviewsituation von einer Meinungsäußerung auszugehen. Die begehrte Gegendarstellung sei überdies offenkundig unwahr. Das Landgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass bei Aufruf der Blog-Seite des Klägers über ein Smartphone eine Trennung der Einzelbeiträge für den flüchtigen Durchschnittsnutzer nicht mehr erkennbar sei. Es liege überdies eine Irreführung vor, weil es dem Ministerpräsidenten ... nach dem Gesamtkontext des Interviews nicht primär um die Verwendung eines Affen im Zusammenhang mit einem Artikel zu Flüchtlingen, sondern darum gegangen sei, allgemein die Geschmacklosigkeiten des Klägers im Umgang gegenüber Dritten herauszustellen, um so seinen eigenen "Stinkefinger" im Landtag gegenüber dem Kläger zu rechtfertigen. Überdies bleibe offen, auf welchen der in der Erstmitteilung in Betracht kommenden Sachverhalte der Kläger überhaupt erwidern wolle. Die Ausgangsmitteilung sei überdies belanglos, weil es zum Selbstverständnis des Klägers gehöre, sich herabsetzend über Flüchtlinge zu äußern und ihn die Äußerung daher nicht in seinem Persönlichkeitsrecht verletze. Schließlich habe das Landgericht den Streitwert zu niedrig angesetzt und ausgehend hiervon eine falsche Kostenverteilung getroffen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf eine Gegendarstellung bis zum Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags, die gem. Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zum Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland vom 15. Juli 2020 (SächsGVBl. S. 379) durch Feststellung seines Inkraf...