Leitsatz (amtlich)

1. Decken die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses das Beschwerdevorbringen vollständig ab, kann das Beschwerdegericht davon absehen, eine bei ihm eingelegte Beschwerde zur Durchführung des Abhilfeverfahrens an das Ausgangsgericht zurückzuleiten.

2. Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse kann grundsätzlich Grundlage für eine antizipierte Beweiswürdigung im PKH-Verfahren sein. Voraussetzung ist jedoch, dass es die zum Beweis stehenden Fragen vollständig beantwortet und frei von inneren Widersprüchen ist.

3. Überweist der Arzt den Patienten zur Weiterbehandlung an einen Facharzt, gilt der Vertrauensgrundsatz mit der Folge, dass der überweisende Arzt sich grundsätzlich darauf verlassen darf, dass der Zielarzt sämtliche notwendige Maßnahmen zur Behandlung des Patienten von sich aus ergreift.

 

Verfahrensgang

LG Zwickau (Aktenzeichen 1 O 940/19)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Zwickau vom 14.12.2020 aufgehoben. Dem Antragsteller wird ratenlose Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S..., J..., für folgenden Klageantrag bewilligt:

a) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung: 12.000 EUR), welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen;

b) Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus der fehlerhaften Behandlung vom 15.9. - 24.9.2016 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

c) Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1113,13 EUR freizustellen.

2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage, mit der der Antragsgegner als sein behandelnder Hausarzt wegen unterlassener Befunderhebung in Anspruch genommen werden soll. Er behauptet unter Bezug auf ein Gutachten des MDK vom 12.10.2018 (K1), der Antragsgegner habe es versäumt, anlässlich seiner Vorsprache, die noch im August 2016 erfolgt sei und bei der er eine Wunde an der linken Großzehe beklagt habe, einen Wundabstrich zu nehmen, den Fußpuls zu ermitteln sowie radiologische Untersuchungen und eine Gefäßdoppleruntersuchung zu veranlassen. Dadurch habe ihm im Dezember 2016 die linke Großzehe amputiert werden müssen.

Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt. Aus der beigezogenen Patientenakte folge, dass sich der Antragsteller erstmals am 15.9.2016 mit einer Fußwunde vorgestellt habe und am 24.9.2016 zur Weiterbehandlung an Frau Dr. R... überwiesen worden sei, die nach den Grundsätzen horizontaler Arbeitsteilung allein für den Folgezeitraum in Anspruch genommen werden könnte. Es sei auszuschließen, dass sich die Verzögerung um maximal neun Tage ausgewirkt haben könne, zumal sich den Behandlungsunterlagen entnehmen lasse, dass der Antragsteller seit langem eine effektive Behandlung seiner Diabetes-Erkrankung verhindere und sich aus dem MDK-Gutachten, das im Wege der antizipierten Beweiserhebung verwertet werden könne, ergebe, dass eine kontinuierliche Therapie des diabetischen Fußsyndroms durch den Antragsteller verhindert und dadurch die Amputation der Großzehe unumgänglich geworden sei.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, mit der er zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren begehrt. Der Antragsgegner wurde im Beschwerdeverfahren angehört; er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II. Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene, sofortige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Der Senat macht zunächst von seinem Recht Gebrauch, in der Sache auch ohne das nach dem Gesetz vorgesehene, wegen der Einlegung der Beschwerde beim Oberlandesgericht aber unterbliebene Abhilfeverfahren zu entscheiden. Zwar ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO ein Abhilfeverfahren vorgeschrieben, das inhaltlich dem Verfahren auf Gegenvorstellung angelehnt ist; Voraussetzung für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens oder gar für die Beschwerdeentscheidung selbst ist es aber nicht (Senat, Beschluss vom 10. September 2020 - 4 W 578/20 -, Rn. 13, juris OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.08.2002 - 14 W 3/02 - juris, Rz. 6 m.w.N.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.05.2002 - 5 W 4/02 - juris). Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidungsgründe in dem angefochtenen Beschluss alle Gesichtspunkte des Beschwerdevorbringens abdecken und daher nicht erwartet werden kann, dass das Ausgangsgericht auf deren blo...

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