Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens hat das Gericht einen medizinischen Sachverständigen, der die Übernahme eines Gutachtens wegen Arbeitsüberlastung ablehnt, regelmäßig zu entbinden, wenn keine zwingenden Gründe vorliegen, die eine Erstattung des Gutachtens gerade durch diesen Sachverständigen gebietet.

2. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Sachverständigen ist erst zulässig, wenn sich dieser weigert, seine Überlastung näher zu substantiieren, die Gutachtenerstattung ohne Angaben von Gründen verweigert wird oder die vorgetragenen Verweigerungsgründe rechtskräftig für unbegründet erklärt wurden.

3. Entscheidet sich das Gericht gegen eine Entlassung des Sachverständigen, hat es hierüber von Amts wegen ein Zwischenurteil herbeizuführen.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 2215/17)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. Schneider wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 19.5.2021 aufgehoben.

 

Gründe

I. Mit dem angefochtenen, ihm am 1.6.2021 zugestellten Beschluss hat das Landgericht dem Sachverständigen ein Ordnungsgeld in Höhe von 250,- EUR und zugleich die für die Aktenübersendung an ihn angefallenen Kosten auferlegt, nachdem der Sachverständige mit Beschluss vom 15.4.2021 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt war und mit Schreiben vom 3.5.2021 angezeigt hatte, es sei ihm aufgrund seiner "zeitlichen Verpflichtungen" nicht möglich, das Gutachten zu übernehmen. Auf ein weiteres Schreiben des Landgerichts vom 6.5.2021, in dem ihm mitgeteilt worden war, dass an seiner Beauftragung festgehalten werde, hat der Sachverständige keine weiteren Gründe mitgeteilt, sondern lediglich die ihm erneut übersandten Akten zurückgesandt. Das Landgericht hat der am 14.5.2021 eingegangenen sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Aus der Mitteilung des Sachverständigen lasse sich nicht entnehmen, wieso ihm die Erstellung des Gutachtens innerhalb der bis zum 31.8.2021 gesetzten Frist trotz der in tatsächlicher Sicht einfach gelagerten Beurteilung eines medizinischen Kausalverlaufs nicht möglich sei.

II. Die sofortige Beschwerde des Sachverständigen gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes und die Auferlegung von Auslagen ist nach §§ 409 Abs. 2, 567ff. ZPO statthaft und innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Sie unterliegt nicht dem Anwaltszwang (§ 569 Abs. 3 Nr. 3 ZPO).

In der Sache hat sie Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Zwar zählt der Sachverständige zu dem Personenkreis, der gem. § 407 ZPO die Erstattung eines Gutachtens grundsätzlich nur aus denselben Gründen verweigern darf, die auch einen Zeugen berechtigen würden, das Zeugnis zu verweigern. Nach § 408 Abs. 1 S. 2 ZPO kann das Gericht den Sachverständigen aber auch aus sonstigen Gründen von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbinden. Die Vorschrift ermöglicht es dem Gericht, im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens auch ohne Vorliegen eines Gutachtenverweigerungsgrundes aus Zweckmäßigkeitsgründen den Sachverständigen vom Gutachterauftrag zu entbinden. Ein solches Vorgehen nach § 408 Abs. 1 S. 2 kommt insbesondere bei Arbeitsüberlastung des Sachverständigen in Betracht (Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 408 Rn. 1; Stiepel in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 160. Lieferung, § 82, Rn. 169). Im Rahmen der danach gebotenen Ermessensausübung hat das Gericht zu berücksichtigen, dass ein Sachverständiger - anders als ein Zeuge - grundsätzlich ersetzbar ist und dass die Beauftragung eines überlasteten Sachverständigen zu einer Verfahrensverzögerung führen kann, die bei Entbindung und Beauftragung eines anderen Sachverständigen vermieden werden könnte. Es entspricht daher auch im hiesigen Gerichtsbezirk einer ständigen Übung, dass ein medizinischer Sachverständiger, der seine Überlastung anzeigt, regelmäßig von der Gutachtenerstattung entbunden wird, sofern nicht ausnahmsweise wegen der überragenden Sachkompetenz oder dem Fehlen anderer Sachverständiger in diesem Fachgebiet andere gleich geeignete Sachverständige nicht zur Verfügung stehen. An die Darlegung der Arbeitsüberlastung durch den Sachverständigen dürfen dabei keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Hält das Gericht dessen Angaben für unzureichend, hat es jedenfalls dem Sachverständigen ergänzend Gelegenheit gegeben, die Gründe für seine Arbeitsüberlastung zu konkretisieren und im Einzelnen darzulegen, bevor es dessen Entpflichtung ablehnt. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 409 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist erst dann zulässig, wenn eine solche Substantiierung nicht erfolgt, die Gutachtenerstattung von vornherein ohne Angabe von Gründen verweigert wird oder die vorgetragenen Verweigerungsgründe zuvor rechtskräftig für unbegründet erklärt worden sind (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 11. Januar 1996 - 24 C 95.3910 -, Rn. 22, juris). Gleiches gilt für die Auferlegung von Kosten.

Hieran fehlt es. Eine wirksame Zurückwe...

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