Leitsatz (amtlich)
1. Die Wiederholung einer Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz steht im gebundenen Ermessen. Sie ist bereits dann geboten, wenn das Berufungsgericht einander widersprechenden Behauptungen ein anderes Gewicht beimisst als das Erstgericht oder von dessen Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweisen will.
2. Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bring, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf mit der Folge, dass sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen kann.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 2464/21) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.07.2023 wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 20.109,57 EUR festzusetzen.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Das Landgericht ist im Ergebnis seiner Beweiswürdigung zu Recht zu der Feststellung gelangt, dass ein Anspruch auf Feststellung der Gewährung von Versicherungsschutz wegen des Schadensereignisses vom 05.10.2019 in Dresden nicht vorliegt.
1. Die Berufung zeigt keine hinreichenden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen auf, die in den nach § 529 ZPO gesetzten Grenzen die erneute Durchführung einer Beweisaufnahme gebieten würden.
Die Wiederholung der Beweisaufnahme steht im gebundenen Ermessen. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen - hier konkret bei der Beweiswürdigung - liegen dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Dazu genügen schlüssige Gegenargumente, die die erhebliche Tatsachenfeststellung in Frage stellen (Zöller-Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 529 Rz. 3 m.w.N.). Stützt das Erstgericht - wie hier - seine Tatsachenfeststellung auf eine Zeugenvernehmung und die Anhörung einer Partei, so ist eine erneute Vernehmung lediglich mit der Begründung, dabei lasse sich eine bessere Aufklärung erwarten, nicht zulässig (Zöller, a.a.O., Rz. 7 m.w.N.). Vielmehr ist eine erneute Beweisaufnahme nur dann geboten, wenn sich Zweifel aus dem Protokoll ergeben, also die Beweisaufnahme nicht erschöpfend war oder eine protokollierte Aussage im Widerspruch zu den Urteilsgründen steht. Zulässig kann eine erneute Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht sein, wenn das Berufungsgericht einander widersprechenden Bekundungen ein anderes Gewicht beimisst als das Erstgericht, eine Pflicht zur Rekonstruktion des Sachverhaltes lässt sich dem allerdings nicht entnehmen (vgl. Rixecker, NJW 2004, 705 ff). Will das Berufungsgericht von der Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Erstgerichts abweichen, so müssten sich auch hier konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit ergeben bzw. von der Berufung aufgezeigt werden.
Die Berufung zeigt hier aber weder im Hinblick auf die Aussagen als solche noch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit/Glaubhaftigkeit hinreichende Zweifel auf. Das Landgericht hat vielmehr zutreffend festgestellt, dass die Sachverhaltsdarstellung des Klägers in seiner Schadensmitteilung vom 30.01.2020 objektiv unrichtig ist und sich zur Überzeugungsbildung dabei maßgeblich auf die Aussagen des Geschädigten und seiner Ehefrau gestützt.
a) Der Kläger hat in der Schadensmitteilung angegeben: "Der Geschädigte hat mehrfach gegen meinen Wagen geschlagen. Ich stieg aus und als er erneut aus holte und ich mich angegriffen fühlte, stieß ich ihn reflexartig weg. Dabei stürzte er auf seine Schulter."
b) Das Landgericht hat sich aufgrund der Aussagen der Zeugen R...... davon überzeugt gesehen, dass die Angaben des Klägers objektiv falsch sind und das zum Schadensereignis führende Geschehen in wesentlichen Punkten abweichend hiervon und zutreffend von dem Zeugen R...... geschildert worden sei. Danach sei es nach einer verbalen Auseinandersetzung zu der Verletzung des Geschädigten gekommen, als er sich zu dem Fahrzeug des Klägers begeben habe, dort gegen die Hecksäule mi...