Leitsatz (amtlich)
1. Der Wartepflichtige an einer Kreuzung, der in eine Vorfahrtsstraße einbiegen will, darf nur dann darauf vertrauen, dass der Vorfahrtsberechtigte seinerseits abbiegen will, wenn dieser blinkt und zusätzlich die Annäherungsgeschwindigkeit deutlich und erkennbar herabsetzt oder zweifelsfrei bereits mit dem Abbiegen bereits begonnen hat. Es reicht demgegenüber nicht aus, wenn der Vorfahrtberechtigte sich dem Kreuzungsbereich mit einer geringeren als der dort zugelassenen Höchstgeschwindigkeit nähert, ohne diese jedoch weiter zu verlangsamen.
2. Eine Haftungsverteilung zu Lasten des Wartepflichtigen von 1/3 zu 2/3 ist gerechtfertigt, wenn der Vorfahrtsberechtigte vor dem Zusammenstoß zwar geblinkt, sich darüber hinaus aber nicht tatsächlich wahrnehmbar auf das Abbiegen vorbereitet hat.
3. Teilt das Gericht den Parteien mit, dass es beabsichtigte, ein Gutachten aus einem Straf- oder Ermittlungsverfahren zu verwerten, führt die rügelose Antragstellung dazu, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz nicht mehr eingewandt werden kann.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 02 O 3102/16) |
Tenor
1. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren versagt.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
3. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 32.577,20 EUR festzusetzen.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht. Der Klägerin war auch Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten der Berufung zu versagen (§ 114 ZPO).
Das Landgericht ist mit zutreffenden Erwägungen auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes zu einer grundsätzlich bestehenden Mithaftung der Beklagten für das Verkehrsunfallgeschehen gelangt, dies jedoch nur unter Annahme einer mit überzeugenden Erwägungen begründeten Haftungsquote von 1/3 zu ihren Lasten. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt es nicht, eine andere Haftungsverteilung anzunehmen, so dass auch ihrem PKH-Gesuch, mit dem sie eine Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten der Beklagten begehrt, nicht stattzugeben war.
Die Klägerin vermag mit der Berufung keine Rechtsfehler oder eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung des Landgerichts zu ihren Ungunsten aufzuzeigen. Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, wenn keine überzeugenden Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen; bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, Urteil vom 08. Juni 2004 - VI ZR 230/03 -, - juris; vgl. OLG München, Urteil vom 06. September 2013 - 10 U 2336/13 -, Rn. 4, m.w.N., - juris).
Das Landgericht hat aufgrund der Aussage des Zeugen S... angenommen, dass der Beklagte zu 1 den rechten Fahrtrichtungszeiger bei der Annäherung an den Kreuzungsbereich der B 87 mit der S 74 gesetzt hatte, was die Klägerin als ihr günstig auch nicht angreift. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht weiterhin davon ausgegangen, dass der Wartepflichtige, hier die Klägerin, aber nicht ohne weiteres auf ein Blinken des Vorfahrtberechtigten vertrauen durfte (so OLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 - 7 U 1501/13 -, Rn. 3 - 15, mit ausführlicher Darstellung der Rspr., - juris). Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO darf der Wartepflichtige nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf. Ein besonnen und vorausschauend agieren...