Leitsatz (amtlich)
1. Eine aufgrund antizipierter Verrechnungsvereinbarung im Rahmen eines Kontokorrentenverhältnisses bewirkte Verrechnung ist gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam, wenn die Verrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung hergestellt wurde. Einer gesonderten Anfechtung durch den Insolvenzverwalter bedarf es nicht.
2. Steht allerdings dem Insolvenzgläubiger an der nicht wirksam verrechneten Forderung des Schuldners ein rechtgeschäftliches Pfandrecht zu, kann er dieses bei Fälligkeit des gesicherten Anspruchs durch Einziehung der gegen ihn gerichteten Forderung verwerten, indem er sie einseitig in den Saldo einstellt, welcher in Bezug auf die sonstigen, nicht auf anfechtbaren Rechtshandlungen beruhenden Forderungen nach § 355 HGB zu ermitteln ist. Dadurch treten die gleichen Wirkungen wie bei der Verrechnung ein; der Insolvenzverwalter kann sie wegen der aus § 50 Abs. 1, § 173 Abs. 1 InsO folgenden Berechtigung des Gläubigers zur abgesonderten Befriedigung aber nur dadurch beseitigen, dass er die Bestellung des Pfandrechts (rechtzeitig) anficht.
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 26.05.2005; Aktenzeichen 14 O 4031/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Dresden vom 26.5.2005 - Az.: 14 O 4031/04 - im Kostenpunkt aufgehoben und in der Hauptsache dahin abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Gegenstandswert der Berufung und Beschwer des Klägers: 19.270,60 EUR.
Tatbestand
Mehr als zwei Jahre nach Verfahrenseröffnung macht der klagende Insolvenzverwalter die Herausgabe mehrerer Zahlungseingänge geltend, welche die beklagte Bank vormals im Auftrag der späteren Schuldnerin vereinnahmte und deren im Debet geführten Girokonto gutschrieb, nachdem diese bereits den zur Verfahrenseröffnung führenden Eigenantrag gestellt hatte. Die Beklagte beruft sich auf ihr rechtsgeschäftliches Pfandrecht an den Zahlungseingängen und wendet Verjährung ein. Das LG hat sie unter Kürzung der geltend gemachten Zinsen zur Zahlung verurteilt. Die Berufung führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet, mithin zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
I. Der ... GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), deren Vermögen der Kläger im laufenden Insolvenzverfahren verwaltet, stehen girovertragliche Ansprüche auf Herausgabe der von der beklagten Bank im Auftrag der Schuldnerin vereinnahmten und dieser gutgeschriebenen Zahlungen über umgerechnet insgesamt 19.270,60 EUR nicht (mehr) zu. Soweit insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche in Betracht kommen, greift die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede durch.
1. Aus den in Rede stehenden Gutschriften vom 23.8. und 5.9.2000 hat die Schuldnerin in entsprechender Höhe Forderungen gem. §§ 667, 675 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte erworben. Diese Forderungen sind jedoch dadurch erloschen, dass die aus rechtsgeschäftlichem Pfandrecht zur abgesonderten Befriedigung berechtigte Beklagte sie verwertet hat.
a) Dabei stimmt der Senat mit dem rechtlichen Ansatz des Klägers überein, dass es einer Anfechtung von Verrechnungen im Rahmen eines Kontokorrentverhältnisses (§ 355 HGB) nicht bedarf, sondern diese gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig - mithin unwirksam (BGH v. 2.6.2005 - IX ZB 235/04, BGHReport 2005, 1273 = MDR 2005, 1304 = ZIP 2005, 1334 = WM 2005, 1573, unter II. 2. b. bb. 2) - sind, wenn der Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Verrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst nicht nur die (einseitige) Aufrechnung nach §§ 387, 388 BGB, sondern auch den Aufrechnungsvertrag (BGH v. 2.6.2005 - IX ZR 263/03, MDR 2006, 53 = BGHReport 2005, 1488 = ZIP 2005, 1521 = WM 2005, 1712). Um einen solchen handelt es sich auch bei der einem Kontokorrentverhältnis immanenten antizipierten Verrechnungsvereinbarung (Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 387 Rz. 21). Diese weist keine Besonderheiten auf, die eine von den Bestimmungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO abweichende Behandlung rechtfertigen. Dem steht insb. nicht entgegen, dass - soweit ersichtlich - die Entscheidungen des BGH zur Anfechtbarkeit von Verrechnungen im Bankkontokorrent (vgl. etwa BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 = BGHReport 2002, 521 m. Anm. Ristelhuber = MDR 2002, 966 = ZIP 2002, 812 = WM 2002, 951; v. 17.6.2004 - IX ZR 124/03, MDR 2004, 1317 = BGHReport 2004, 1456 = WM 2004, 1576 = ZIP 2004, 1509, m.w.N.) sich nicht zur Anwendbarkeit der vorbezeichneten Vorschrift verhalten. Denn Gegenstand der vom BGH entschiedenen Fälle waren jeweils Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters nach §§ 129 ff., 143 Abs. 1 InsO, nicht jedoch - wie hier - bereits vor der Insolvenzeröffnung entstandene Forderungen des Schuldners; darüber hinaus schließt die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dessen gläubigerbenachteiligen...