Leitsatz (amtlich)

1. Meinungsäußerungen in einem sozialen Netzwerk sind im Gesamtgefüge der auch über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgten Einträge zu würdigen. Ergibt diese Gesamtwürdigung Züge einer Privatfehde, liegt die Annahme einer unzulässigen Schmähkritik nahe.

2. Für die Erkennbarkeit des von einer Äußerung Betroffenen reicht es aus, wenn dieser begründeten Anlass hat anzunehmen, er könne innerhalb seines mehr oder minder großen Bekanntenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände erkannt werden.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 1452/16)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 28.03.2017 - 4 O 1452/16 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - wie folgt abgeändert:

1. Der Beklagte wird verurteilt, folgende Äußerungen zu unterlassen:

1.1 Der Kläger, genannt "Tablettenmacher H. aus Z.", sei ein "Kindesentfremder".

1.2 Der Kläger, der "Tablettenmacher H. aus Z.", habe sich sein (des Beklagten) Kind und "nicht-leibliches Enkel angeeignet" sowie "belogen, verleumdet und betrogen".

1.3 "Kindesentfremder sind auch Kinderschänder", - "der elektrische Stuhl ist zwar defekt, aber wir haben ja immer noch unsere elektrische Stihl" -

1.4 Mit Hinweis auf den Kläger "Pharmaindustrie" einen Beitrag zu teilen mit der Aussage: "Dort, wo der Z. Kinderschänder arbeitet" (Text vom 07.10.2016).

1.5 Dem Beklagten wird untersagt, den Kläger sinngemäß als "Kindesentzieher" oder "Kinderschänder" zu bezeichnen.

2. Der Beklagte wird ferner verurteilt, folgende Äußerungen mit Bezug auf den Kläger zu unterlassen:

2.4 "Der Baum, an dem die Verursacher hängen werden, wird gerade gebaut. Er hat Hacken, wie im Schlachthof für Schweine.... Entfremden Eltern-Kind."

2.5 "...Meinen Kindesentfremdern auch für diese Woche natürlich nur die Pest, doch lange müsst ihr nicht mehr durchhalten".

2.10 "... und vernichte die Kindesentfremder. Es geht langsam los und ich weiß, dass sie es bereits fühlen ...."

2.14 "Wenn es hier erste Opfer gibt, wird man wach werden. Das ist eine Frage der Ehre meinem Sohn gegenüber."

wenn dies geschieht, wie unter den Einträgen ab dem Mai 2016 auf dem Facebook-Account Mxx. erfolgt .

3. Der Beklagte wird verurteilt, die unter Ziffer 1. und 2. angeführten Einträge unter seinem Facebook-Account Mxx. binnen einer Frist von 1 Woche ab Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung zu löschen.

4. Dem Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe bis zu 25.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.

II. Im Übrigen wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 28.03.2017 - 4 O 1452/16 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen der Kläger zu 4/10 und der Beklagte zu 6/10. Die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsverfahren trägt der Kläger zu 3/10, der Beklagte zu 7/10.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 7800 EUR und für das erstinstanzliche Verfahren auf 9800 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger -der im einzigen pharmazeutischen Unternehmen in Z. beschäftigt ist- und seine Ehefrau sind Pflegeeltern des am 03.12.2003 geborenen Hxx.. Er wendet sich gegen Einträge, die beginnend ab Mai 2016 auf der Facebook-Seite des Beklagten veröffentlicht worden sind. Es wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Landgericht hat den Beklagten zum überwiegenden Teil verurteilt, die auf eine Geldentschädigung gerichtete Klage hat es abgewiesen. Für die Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Mit seiner Berufung erstrebt der Beklagte die vollständige Klageabweisung. Er ist der Auffassung, der Kläger könne schon deshalb keine Unterlassung fordern, weil er in den streitgegenständlichen Eintragungen nicht erkennbar sei. Im Gesamtkontext seien die Eintragungen zulässige Meinungsäußerungen, zum Teil in satirischer Form. Insgesamt sei der Tenor des angegriffenen Urteils auch nicht vollstreckbar. Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist nur einem Teil begründet. Dem Kläger steht in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen aus §§ 823 Abs. 1, 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.v.m. § 185 StGB (analog) zu. In diesem Umfang wird er durch die Äußerungen des Beklagten auf dessen Facebook-Seite in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

A. 1. Entgegen der Annahme des Beklagten scheitert dieser Anspruch nicht an einer hinreichenden Bestimmtheit i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO der erstinstan...

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