Leitsatz (amtlich)
1. Steht aufgrund gewichtiger Indizien (hier: Mehrfache Aufforderung zur Eingabe einer fünfstelligen Zahlenfolge 1, 2, 3, 4, 5; Überweisung eines höheren Geldbetrages an einen dem Bankkunden unbekannten Zahlungsempfängers, der den Geldbetrag unmittelbar weiterleitet oder abhebt; Versuch einer Echtzeitüberweisung; staatliche Ermittlungen gegen den Zahlungsempfänger wegen des Verdachts der Geldwäsche und des Computerbetrugs) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zahlungsdienstnutzer bei der ungewollten Auslösung eines Zahlungsvorgang Opfer eines missbräuchlichen Eingriffs in das Online-Banking geworden ist, so kann auch dann nicht nach Rechtsscheingrundsätzen von einer Autorisierung des Zahlungsvorgangs durch den Zahlungsdienstnutzer ausgegangen werden, wenn dieser Missbrauch für das Geldinstitut bei Entgegennahme und Ausführung des Zahlungsauftrags aufgrund Verwendung der korrekten Zugangsdaten und Verwendung eines mit der Bankkarte des Zahlungsdienstnutzers im ChipTAN-Verfahren erzeugten Authentifizierungsinstruments nicht erkennbar war.
2. Ein Zahlungsdienstnutzer, der entgegen den Online-Banking-Bedingungen des Geldinstituts bei Anwendung des vereinbarten ChipTAN-Verfahrens die ihm auf dem Kartenlesegerät angezeigten Daten (IBAN des Zahlungsempfängers, Bankinstitut, Überweisungsbetrag) ohne vorherige Kontrolle auf eine Übereinstimmung mit den Daten des tatsächlich gewollten Vorgangs mit "OK" bestätigt und anschließend die generierte TAN verwendet, handelt regelmäßig grob fahrlässig, sofern auch in subjektiver Hinsicht ein individuell unentschuldbares Versagen feststellbar ist.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 24.02.2022; Aktenzeichen 04 O 1118/21) |
Tenor
I. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24.02.2022 - 04 O 1118/21 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24.02.2022 - 04 O 1118/21 im Kostenpunkt aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem bei der Beklagten geführten Girokonto des Klägers mit der Kontonummer 0000000003, einen Betrag in Höhe von 6.072,87 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.04.2021 wieder gutzuschreiben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten beider Instanzen haben der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.
V. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24.02.2022 - 04 O 1118/21, soweit es durch das vorliegende Senatsurteil bestätigt wird, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 24.291,49 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger begehrt von der beklagten Sparkasse die Gutschrift, hilfsweise Auszahlung, eines Geldbetrages von 24.291,49 Euro, der von dem bei der Beklagten geführten Girokonto des Klägers mit der Kontonummer 0000000003 auf das Konto eines dem Kläger unbekannten Dritten überwiesen wurde, ohne dass der Kläger diesen Zahlungsvorgang autorisiert habe.
Der Kläger, der bereits Inhaber einer SparkassenCard der Beklagten war, beantragte bei der Beklagten ausweislich einer von dieser erteilten Bestätigung (Anlage K 3) die Freischaltung für das Online-Banking mit ChipTAN, wobei er angab, dass für die von ihm im Online-Banking ausgelösten Aufträge je Kalendertag ein Höchstbetrag von 1.000 Euro gelten sollte.
In der Folge kam es am 11./13.04.2016 zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Teilnahme am Online-Banking (Anlage B 4). Unter der mit "Verfügungslimite" überschriebenen Ziffer 5 der vom Kläger unterzeichneten Vertragsurkunde ist als Tageslimit für das Online-Banking "EUR unbegrenzt" eingetragen. Ausweislich einer vom Kläger gesondert unterzeichneten Empfangsbestätigung vom 11.04.2016 wurden ihm jeweils ein Exemplar der Information zum Onlinebanking einschließlich einer Widerrufsbelehrung, der Rahmenvereinbarung über die Teilnahme am Online-Banking inkl. der benannten Bedingungen (Anlage B 6) und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgehändigt.
In der Folge fanden zahlreiche Kontenbewegungen statt, darunter auch Belastungen des Kontos des Klägers mit oberhalb von 1.000 Euro liegenden Überweisungsbeträgen, insbesondere wie folgt:
Datum |
Betrag in Euro |
08.08.2019 |
9.000,00 |
09.08.2019 |
11.680,59 |
23.08.2019 |
1.595,00 |
02.12.2019 |
2.000,00 |
06.01.2020 |
2.000,00 |
20.02.2020 |
1.500,00 |
12.05.2020 |
1.335,21 |
18.05.2020 |
27.289,35 |
Am 09.12.2020 kam es um 12:01 Uhr zu einer Überweisung eines Betrages von 24.291,49 Euro zulasten des Kontos des Klägers an einen Herrn V...... G.......
Darüber hinaus erfolgte am selben Tag um 12:06 Uhr eine vom Kläger zugunsten seines Zahnarztes veranlasste Überweisung in Höhe von 2.083,03 Euro.
Am selben Tag (09.12.2020) führten eine Mitarbeiterin der Beklagten und der Kläger ein Telefonat über einen "höheren Geldbetrag", über den verfügt wor...