Leitsatz (amtlich)

1. Eine Verletzung der vom Versicherungsvermittler geschuldeten Dokumentationspflicht begründet keinen eigenständigen Schadensersatzanspruch, sondern führt lediglich zu einer Beweislastumkehr.

2. Auch bei Übergabe einer Statusinformation, die den Vermittler als Agenten der Versicherung ausweist, kann dessen Haftung als Anscheinsmakler in Betracht kommen, wenn er nach den Gesamtumständen den Eindruck erweckt, im Lager des Versicherungsnehmers zu stehen und eine vom Versicherungsunternehmen unabhängige Beratung zu leisten.

3. Vor der Umdeckung einer Berufsunfähigkeitsversicherung hat der Versicherungsmakler sich einen Überblick über den bestehenden Versicherungsschutz zu verschaffen.

4. Vor einem Wechsel der Berufsunfähigkeitsversicherung, der mit einem Ausschluss für bestimmte Erkrankungen verbunden ist, hat er den Versicherungsnehmer eindringlich auf die damit einhergehenden Risiken hinzuweisen.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2378/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21.12.2022 im Kostentenor und insofern aufgehoben, als es eine gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zu 2) neben der Beklagten zu 1) enthält. Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage wird abgewiesen.

II. Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.

III. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen dieser selbst sowie die Beklagte zu 1) zu je 1/2. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2). Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 11.542,60 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt die Feststellung von Schadensersatzansprüchen wegen Beratungspflichtverletzungen gegenüber der Beklagten zu 1), einem Finanzvermittlungsdienst und Mehrfachagenten für verschiedene Versicherer, mit deren Hilfe der Kläger nach mehreren Beratungsgesprächen eine vorbestehende Berufsunfähigkeitsversicherung bei der A... AG kündigte und gegenüber der Beklagten zu 2), bei der er stattdessen unter Vermittlung der bei der Beklagten zu 1) beschäftigten Zeugen eine Grundfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat. Von der weiteren Aufnahme des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 525, 313a Abs. 2 ZPO. Das Landgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 21.12.2022, auf das zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, gegen beide Beklagten stattgegeben, was diese mit ihren selbständigen, auf Klageabweisung gerichteten Berufungen angreifen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) bleibt ohne Erfolg, die Berufung der Beklagten zu 2) ist ebenfalls zulässig und führt zur Abänderung des Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang und Abweisung der gegen sie gerichteten Klage.

1. Das LG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) einen feststellungsfähigen Schadensersatzanspruch wegen einer Beratungspflichtverletzung der für diese handelnden Zeugen H... und B... in den Beratungsgesprächen mit dem Kläger vom 15. 10. und 22.11.2018 hat.

a) Dies folgt allerdings nicht aus einem Verstoß gegen § 62 VVG; hiernach ist es Aufgabe des Vermittlers, die Bedarfserhebung, Beratung und Empfehlung gem. § 62 Abs. 1 Satz 2 VVG zu dokumentieren und diese dem künftigen Versicherungsnehmer vor dem Abschluss des Vertrages zu übermitteln. Eine Verletzung dieser Dokumentationerfordernisse führt jedoch für sich genommen noch nicht zu einem Schadenersatzanspruch, da diese Pflicht lediglich dazu dient, das Vermittlergespräch auch zu Beweiszwecken festzuhalten und dem Versicherungsnehmer die Gründe der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt nochmals vor Augen zu führen (BGH, Urteil vom 13. November 2014 - III ZR 544/13 - juris Rn. 18; vgl. auch Prölss/Martin-Dörner, VVG, 31. Aufl., § 63, Rn. 5, m.w.N.; Senat, Urteil vom 21. Februar 2017 - 4 U 1512/16 -, Rn. 15, juris). Wegen der mit dem Verstoß einhergehenden Beweislastumkehr handelt es sich vielmehr um eine bloße Obliegenheit des Vermittlers.

b) Die Beklagte zu 1) haftet aber nach §§§ 60, 61, 63 VVG wegen einer Beratungspflichtverletzung bei Anbahnung eines Versicherungsvertrages.

aa) Aufgrund der Gesamtumstände ist davon auszugehen, dass zwischen den Beteiligten ein Versicherungsmaklervertrag abgeschlossen wurde. Versicherungsmakler ist, wer gewerbsmäßig Versicherungsverträge vermittelt oder abschließt, dabei aber nicht vom Versicherer, sondern vom potentiellen Versicherungsnehmer mit dem konkreten Vermittlungsgeschäft betraut worden ist, § 59 Abs. 3 Satz 1 VVG. Als Versicherungsmakler gilt auch, wer gegenüber dem Versicherungsnehmer den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistung als Versicherungsmakler nach Satz 1, § 59 Abs. 3 Satz 2 VVG. Auch ein Versicherungsvermittler, der im Verhältnis zu den Versicherern Versicherungsagent oder Mehrfachagent ist, kann als Versicherungsmakler auftreten und mit dem Versicherungsneh...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge