Leitsatz (amtlich)
1. Der Insolvenzverwalter ist zur Erhebung einer Bilanznichtigkeitsklage entsprechend § 256 Abs. 7 Satz 1, § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG befugt.
2. Zur Anwendung des § 167 ZPO im Rahmen der Heilungsvorschrift des § 256 Abs. 6 AktG.
3. Zur Bilanzierung fondsgebundener Lebensversicherungen und ratierlicher Provisionsforderungen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 09.03.2016; Aktenzeichen 04 HK O 577/15) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Leipzig vom 09.03.2016 - 04 HK O 577/15 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers.
3. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil des LG Leipzig vom 09.03.2016 sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte oder der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis 80.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Die beklagte Aktiengesellschaft wurde als 100 %-ige Tochter der inzwischen insolventen F.. AG (umfirmiert in P.. AG) am 05.02.2010 gegründet (Anlage K 4, S. 4 f.). An der Muttergesellschaft hielt die F.. KGaA 20 % der Aktienanteile (Anlagen K 2 und K 3, S. 24). Gegen verantwortliche Personen der von der F.. KGaA gelenkten sog. F.-Gruppe wird gegenwärtig ein Strafverfahren vor dem LG D.. wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs und des Betrugs wegen Errichtung und Betriebs eines sog. "Schneeballsystems" geführt (Anlage K 5, K 7 und K 20).
Geschäftsgegenstände der unternehmerischen Betätigung der Beklagten waren vor allem Versicherungs- und Immobilienmaklertätigkeiten, die Vermittlung und Verwertung von Immobilien, die Vermittlung von Namensgenussrechten, der An- und Verkauf von Rohstoffen und Edelmetallen sowie die Erbringung begleitender Beratungsleistungen und Geschäftsbesorgungen (§ 2 der Satzung gemäß Anlage BK 6). Zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit sollten u.a. Genussrechte in Form von Orderschuldverschreibungen platziert werden (Anlagen K 4 und K 24).
Der für das erste vollständige Geschäftsjahr (01.04.2010 bis 31.03.2011) von dem Streithelfer gefertigte und am 30.06.2011 aufgestellte Jahresabschluss der Beklagten zum 31.03.2011 nebst Lagebericht (vgl. Anlage K 9) wurde aufgrund Beschlussfassungen des Vorstands und Aufsichtsrats am 27.09.2011 festgestellt (Anlage K 18, S. 5 f.). In der Hauptversammlung der Beklagten am 04.10.2011 (Anlage K 18, S. 5 f.) beschloss die Alleinaktionärin eine Kenntnisnahme zur Jahresabschlussfeststellung und zur vorgesehenen Zuführung von 218.531,60 Euro des im Jahresabschluss zum 31.03.2011 auf insgesamt 293.875,46 Euro bezifferten Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen. Darüber hinaus entschied die Hauptversammlung am 04.10.2011, den im Jahresabschluss zum 31.03.2011 ausgewiesenen Bilanzgewinn von 72.843,86 Euro ebenfalls den Gewinnrücklagen zuzuführen. Der Jahresabschluss zum 31.03.2011 wurde am 01.03.2012 im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Über das Vermögen der Beklagten eröffnete das AG D. - Insolvenzgericht - mit Beschluss vom 01.04.2014 (531 IN 2288/13) das Insolvenzverfahren und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter (Anlage K 1). Er verfolgt mit seiner am 27.02.2015 eingereichten Klage das Ziel, den Jahresabschluss der Beklagten zum 31.03.2011 sowie den in der Hauptversammlung am 04.10.2011 gefassten Beschluss über die Gewinnverwendung für nichtig erklären zu lassen. Das Nichtigkeitsfeststellungsverfahren soll nach klägerseitigen Angaben eine Rückerstattung der gewinnbezogen abgeführten Ertragsteuern unterstützen. Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zum 31.03.2011 leitet der Kläger daraus ab, dass die Beklagte gehaltene fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungen im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG überbewertet im Jahresabschluss ausgewiesen habe, indem sie diese zu Unrecht im Anlagevermögen geführt und hilfsweise eine zur Ansetzung von Rückkaufswerten veranlassende dauerhafte Wertminderung unbeachtet gelassen habe. Daneben beanstandet er, für die angebliche Vermittlung einer fondsgebundenen Lebensversicherung an die P.. AG seien tatsächlich und rechtlich nicht entstandene Provisionsforderungen zu Unrecht in der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung aktiviert worden, sodass neben einer Überbewertung gemäß § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG zugleich ein Gliederungsverstoß nach § 256 Abs. 4 AktG anzunehmen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie zur erstinstanzlichen Antragstellung wird auf den Tatbestand der landgerichtlichen Entscheidung und ergänzend auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und des auf Beklagtenseite beigetretenen Streithelfers verwiesen.
Mit dem angegriffenen Urteil vom 09.03.2016 hat das LG die Klage abgewiese...