Leitsatz (amtlich)
1. Ein Insolvenzverwalter ist entsprechend § 256 VII, § 249 I 1 AktG zur Erhebung einer Bilanznichtigkeitsklage befugt.
2. Bei Erhebung einer Bilanznichtigkeitsklage durch einen Insolvenzverwalter ist bei Klagezustellung der Grundsatz der Doppelvertretung nach § 246 II 2 AktG zu wahren. Sind sämtliche Aufsichtsratsmitglieder abberufen worden, kann die Bestellung eines Prozesspflegers erforderlich werden.
3. Zu den Anforderungen an eine im Rahmen der Heilungsfrist des § 256 VI AktG mögliche "demnächst"-Zustellung im Sinne des § 137 ZPO.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 02 HK O 3525/14) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 12.04.2017 - 02 HK O 3525/14 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers.
3. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil des Landgerichts Leipzig vom 12.04.2017 sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte oder der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.047.812,33 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Über das Vermögen der beklagten Aktiengesellschaft, die bis April 2012 unter I... Vertrieb & Service AG firmierte, eröffnete das Amtsgericht Dresden - Insolvenzgericht - mit Beschluss vom 31.01.2014 das Insolvenzverfahren und bestellte die Klägerin zur Insolvenzverwalterin (Anlage K 1). Das Aktienkapital der Beklagten hielt zu 100% die inzwischen ebenfalls insolvente F... Business KGaA, wobei zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft seit dem 28.02.2005 ein Gewinnabführungsvertrag bestand (vgl. Anlagen K 2). Geschäftsgegenstand der beklagten Aktiengesellschaft waren Tätigkeiten als Versicherungs- und Immobilienmakler, insbesondere das Vermitteln von Versicherungen aller Art, die Vermittlung und Verwertung kapitalbildender, einschließlich fondsgebundener Versicherungen, der An- und Verkauf von Versicherungsbeständen, die Vermittlung und Verwertung von Immobilien sowie artverwandte Tätigkeiten (vgl. Anlage K 2).
Durch gemeinsamen Beschluss des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten vom 18.04.2011 wurde der vom Streithelfer erstellte Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31.12.2010 nebst Lagebericht 2010 (Anlage K 9) festgestellt (vgl. Anlage K 20, S. 6). In der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 25.05.2011 (Anlage K 20) beschloss die Alleinaktionärin die zustimmende Kenntnisnahme dazu, dass der Jahresüberschuss der Gesellschaft auf 0,00 Euro festgestellt und das erzielte - im Jahresabschluss zum 31.12.2010 ausgewiesene - Jahresergebnis von 80.956.256,60 Euro aufgrund des bestehenden Gewinnabführungsvertrags in vollem Umfang an die F... Business KGaA abgeführt wird. Der Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2010 wurde am 30.12.2011 im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Gegen damals amtierende Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder der Beklagten sowie weitere Verantwortliche der sogenannten Fx...-Gruppe ermittelte die Staatsanwaltschaft Dresden seit Oktober 2013 u.a. wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs sowie Betrugs wegen Errichtung und Betriebs eines sog. "Schneeballsystems" (vgl. Durchsuchungsbeschluss vom 22.10.2013 - Anlage K 6; siehe auch Anlage K 8); nach Anklageerhebung wird das Strafverfahren derzeit vor dem Landgericht Dresden unter dem Aktenzeichen 5 KLs 100 Js 7387/12 geführt.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer am 23.12.2014 bei dem Landgericht eingereichten Klage das Ziel, den Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2010 sowie den in der Hauptversammlung am 25.05.2011 gefassten Beschluss über die Verwendung des Jahresergebnisses für nichtig erklären zu lassen. Parallel zum vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin im Jahr 2016 vor dem Landgericht Dresden gegen den Insolvenzverwalter der F... Business KGaA eine Klage erhoben, um die Feststellung von Rückforderungsansprüchen der Beklagten gegenüber der Muttergesellschaft in Bezug auf die in den Jahren 2009 bis 2012 abgeführten Gewinne zur Tabelle durchzusetzen.
Die Klägerin macht vorliegend die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zum 31.12.2010 mit der Begründung geltend, es seien von der Beklagten gehaltene kapitalbildende und fondsgebundene Renten- und Lebensversicherungen (nachfolgend: Lebensversicherungen) im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG überbewertet ausgewiesen worden. Darüber hinaus seien für die Vermittlung von Lebensversicherungspolicen an der Fx...-Gruppe zugehörige Gesellschaften vermeintlich entstandene Provisionsforderungen zu Unrecht als Umsatzerlöse aktiviert worden, sodass neben einer Überbewertung gemäß § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG zugleich ein Gliederungsverstoß nach § 256 Abs. 4 AktG anzunehmen sei. Ferner beanstandet die ...