Leitsatz (amtlich)
1. Die Übergangsvorschrift des Art. 66 Abs. 1 Alt. 1 EuGVVO ist in Bezug auf die am 1.5.2004 beigetretenen EU-Staaten so zu verstehen, dass die Zuständigkeitsregeln der Verordnung nur für nach dem 30.4.2004 erhobene Klagen gelten.
2. Greift keine andere zuständigkeitsbegründende Norm ein, ist die vor dem 1.5.2004 in Deutschland erhobene Klage eines deutschen Verbrauchers gegen ein maltesisches Unternehmen selbst dann als unzulässig abzuweisen, wenn der Kläger anschließend denselben Anspruch vor den nunmehr gem. Art. 16 i.V.m. Art. 15 EuGVVO zuständigen deutschen Gerichten verfolgen könnte.
Normenkette
EuGVVO Art. 66 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Leipzig (Aktenzeichen 9 C 2496/03) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG Leipzig vom 6.9.2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Einspruch der Beklagten verworfen worden ist, sowie im Ausspruch Ziff. 1 wie folgt abgeändert:
Das Versäumnisurteil des AG Leipzig vom 24.11.2003 wird aufgehoben. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 762 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte, ein in Malta ansässiges Unternehmen, auf Rückzahlung vorausbezahlter, aber nicht erbrachter Reiseleistungen i.H.v. 762 EUR in Anspruch. Das AG erließ im schriftlichen Vorverfahren - ähnlich wie in zwei weiteren, vor demselben Richter geführten Verfahren gegen die Beklagte - ein der Klage in vollem Umfang stattgebendes Versäumnisurteil; nach Einschätzung des AG ist es wirksam zugestellt und rechtskräftig.
Mit dem angegriffenen Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das AG das Versäumnisurteil aufrechterhalten (Ziff. 1 des Tenors) und die Nichtigkeitsklage, den Wiedereinsetzungsantrag und den Einspruch der Beklagten verworfen (in dieser Reihenfolge Ziff. 2 bis 4 des Tenors). Dagegen richtet sich die zulässige Berufung. Während die Beklagte zunächst u.a. die vollständige Aufhebung des angegriffenen Urteils erstrebte, hat sie ihren Berufungsantrag insoweit am 26.3.2007 auf die Aufhebung "in den Punkten 1., 4., 5. und 6." beschränkt. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Parteien im schriftlichen Verfahren entscheidet, hat in dem noch zur Entscheidung stehenden Umfang Erfolg.
1. Über das Rechtsmittel hat insgesamt das OLG zu befinden.
Dessen alleinige Zuständigkeit - und nicht die des ebenfalls angerufenen LG Leipzig - ist gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom 11.12.2006 - 8 U 1940/06 eröffnet.
2. Soweit das AG die Nichtigkeitsklage und den Wiedereinsetzungsantrag verworfen hat, ist das angefochtene Urteil infolge der nachträglichen Beschränkung der Berufungsanträge rechtskräftig geworden und einer Nachprüfung entzogen.
Der Senat merkt allerdings an, dass die auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage auch deshalb unzulässig war, weil es an einem durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahren (§ 578 Abs. 1 ZPO) fehlte. Das Versäumnisurteil vom 24.11.2003 ist entgegen der Annahme des AG im angegriffenen Urteil zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig geworden (dazu unten II 3a).
3. In dem nach Teilrücknahme verbliebenen Umfang ist das Rechtsmittel begründet.
Die Verwerfung des Einspruchs ist ersatzlos aufzuheben, weil die Beklagte keine Einspruchsfrist versäumt hat (a). Die vom Standpunkt des AG aus nicht notwendige, offenbar vorsorglich ausgesprochene Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils hat ebenfalls keinen Bestand. Vielmehr ist das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der angerufenen Gerichte als unzulässig abzuweisen (b).
a) Entgegen der Ansicht des AG hat die Beklagte die Einspruchsfrist des § 339 ZPO nicht versäumt. Das Versäumnisurteil vom 24.11.2003 wurde ihr nicht wirksam zugestellt. Der am 24.1.2006 eingegangene Einspruch war form- und fristgerecht.
aa) Eine formgerechte Zustellung des Versäumnisurteils hat nicht stattgefunden.
Die Rechtspflegerin des AG hat am 3.3.2005 - im Zusammenhang mit dem Bemühen der Klägerseite um eine Auslandsvollstreckung - eine Zustellung am 25.11.2003 bescheinigt, ohne dass sich die Richtigkeit dieser Angabe anhand des Akteninhalts belegen lässt. Das angefochtene Urteil spricht von einer Zustellung am 9.12.2003, begründet dies aber nicht, sondern verweist auf Bl. 47 ff. der Akten. Offenbar ist der Amtsrichter, der am 14./19.5.2003 einen Beschluss gem. § 184 ZPO gefasst hatte, von einer Aufgabe zur Post am 25.11.2003 ausgegangen und hat daraus auf eine fingierte Zustellung zwei Wochen später geschlossen (§ 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Diese Annahme entbehrte der Grundlage. Damit die Zustellungsfiktion eintritt, ist unerlässliche Voraussetzung, dass entweder das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zugegange...