Leitsatz (amtlich)
1. Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers nach Eintritt eines Versicherungsfalles erstreckt sich auch auf Tatsachen, deren Angabe eigenen Interessen widerstreitet, sofern sie zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein können. Unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers verletzen aber dann keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers, wenn dieser einen maßgeblichen Umstand bereits kennt.
2. Die Angabe einer Laufleistung von exakt "100.000 km", der eine Tilde vorangestellt wird, macht deutlich, dass es sich hierbei um eine Schätzung handelt. Abweichungen von 10% zur tatsächlichen Laufleistung lassen in einem solchen Fall keinen Rückschluss auf eine Täuschungsabsicht zu.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 885/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers - unter ihrer Zurückweisung im Übrigen - wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21.08.2018 (Az.: 3 O 885/18) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.154,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.05.2018 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 12.02.2019 auf 23.454,26 EUR und danach auf 23.154,26 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Betrages in Höhe von (zuletzt) 23.154,26 EUR für einen bei dieser gegen Diebstahl versicherten und nach seiner Behauptung entwendeten Pkw X.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Leipzig vom 21.08.2018 Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 21.08.2018 die Klage abgewiesen, da die Beklagte wegen einer seitens des Klägers im Rahmen der Regulierung erfolgten arglistigen Täuschung leistungsfrei sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung. Er ist der Auffassung, das Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und beruhe auf einem nicht fairen Verfahren. Anders als vom Landgericht angenommen habe er keine Aufklärungspflichten verletzt. Die Schadensanzeige sei von ihm nach bestem Wissen ausgefüllt worden. Weder am Tag der Entwendung noch in den Wochen davor habe er den Kilometerstand des Fahrzeuges zur Kenntnis genommen. Beim Ausfüllen des Formulars habe er den Kilometerstand daher nur grob schätzen können und habe dies mit dem verwendeten "rund-Zeichen" deutlich gemacht. Bei der Berechnung des Ablösewertes durch die Leasingbank seien der Kilometerstand sowie mögliche Vorschäden zudem irrelevant. Im Übrigen wäre ein möglicher Differenzbetrag über die vereinbarte GAP-Deckung geleistet worden, so dass es auch an einem Motiv seinerseits fehle. Um zu den erstmals in der mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts erfolgten Vorhaltungen Stellung nehmen zu können, sei ein Schriftsatzrecht beantragt worden, das zu Unrecht abgelehnt worden sei. Dennoch sei mit Schriftsatz vom 20.08.2018, dessen Inhalt zum Gegenstand der Berufungsbegründung gemacht werde, entsprechend vorgetragen worden. Danach habe er mit der unterlassenen Angabe der Mängel an der Stoßstange vorn wie hinten das Regulierungsverhalten der Beklagten nicht beeinflussen wollen. Vielmehr seien ihm die Schäden wegen ihrer minimalen Relevanz nicht bewusst gewesen.
Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2019 die Berufung teilweise, nämlich soweit die Klage mit der angefochtenen Entscheidung im Umfang von 300,00 EUR abgewiesen worden ist, zurückgenommen hat, beantragt er zuletzt,
die Beklagte unter Abänderung des am 21.08.2018 verkündeten Urteils zu verurteilen, an den Kläger 23.154,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 1.242,84 EUR für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Die Akten der Staatsanwaltschaft Mühlhausen zum Aktenzeichen 410 UJs 205499/17 wurden beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen R., B. und B.... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2019 sowie 21.05.2019 und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die zu ...