Leitsatz (amtlich)
1. Durch das Aufbewahren des Fahrzeugscheins im Fahrzeug wird der Schadensfall regelmäßig weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt.
2. Die auf Überforderung des Versicherungsnehmers beruhenden Falschangaben zu Nachschlüsseln und weiteren Nutzern eines gestohlenen PKW stellen abhängig von den Umständen des Einzelfalles einen mittleren Grad von Fahrlässigkeit dar, der eine Leistungskürzung um 50% rechtfertigen kann.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 3243/12) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23.03.2018 - Az.: 3 O 3243/12 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 5.630,49 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 21.11.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.410,98 EUR festgesetzt.
Gründe
(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2; 313a Abs. 1 ZPO)
I. Die zulässige Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.
1. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Auszahlung einer Versicherungsleistung aus der zwischen den Parteien geschlossenen Kfz-Kaskoversicherung wegen des Diebstahls ihres Fahrzeuges in der Nacht vom 16. auf den 17.12.2010 zu.
a) Die Klägerin hat den von ihr zu führenden Entwendungsnachweis in erster Instanz mit Hilfe von Zeugen geführt. An den Versicherungsnehmer werden wegen der ansonsten drohenden Entwertung des Versicherungsschutzes grundsätzlich keine strengen Anforderungen hinsichtlich der Beweisführung gestellt. Seine Redlichkeit wird vermutet und es genügt auf der ersten Stufe der sogenannten Drei-Stufen-Theorie des BGH, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich das äußere Bild eines Diebstahls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schließen lässt (st. Rspr. BGH, Urteil vom 05.10.1983, IVa ZR 19/82). Dies erfordert, dass er ein Mindestmaß an Tatsachen vorträgt, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Entwendung zulassen. Das Mindestmaß ist in der Regel erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer vorträgt und beweist, dass er oder eine andere zum Gebrauch befugte Person das Fahrzeug an einen bestimmten Ort zur einer bestimmten Zeit abgestellt und später nicht mehr vorgefunden hat (Brockmöller in ZfS 17, 184, 185 m.N. auf die BGH-Rechtsprechung). In erster Instanz haben sowohl die Zeugin B., die Tochter der Klägerin als auch die Zeugin M., Nachbarin der Klägerin, widerspruchsfrei und plausibel bekundet, dass das Fahrzeug am Abend vor der Tatnacht im Innenhof des Anwesens der Klägerin abgestellt worden und am Morgen danach unauffindbar gewesen sei. Anhaltspunkte für eine etwaige Unglaubwürdigkeit der Zeuginnen sind nicht ersichtlich und sind auch von keiner Seite vorgebracht worden. Gestützt wird die Annahme des äußeren Bildes eines Diebstahls zudem dadurch, dass nach der polizeilichen Ermittlungsakte die Kennzeichen des Fahrzeuges im Großraum L. im Nachgang gefunden wurden, nachdem sie offenbar vom Kfz abgeschraubt und weggeworfen worden waren und dass ferner beim später tatverdächtigen Zeugen R. persönliche Dinge und Schulsachen der Tochter der Klägerin gefunden wurden, die diese nach eigenem Bekunden in der Tatnacht im Auto gelassen hatte.
Der Annahme des äußeren Bildes eines Diebstahls stehen auch nicht nach dem behaupteten Diebstahl am nächsten Morgen nicht vorhandene Schneespuren am Tatort entgegen. Zum einen setzt nach der Rechtsprechung das äußere Bild eines Diebstahls keine "stimmigen" Einspruchsspuren voraus (vgl. Brockmüller, a.a.O., S. 187 m.w.N.), zum anderen ließe sich diese vermeintliche "Ungereimtheit" auch damit erklären, dass der Schneefall erst nach der Tat eingesetzt hatte, so dass keine Reifenspuren des Wagens der Klägerin zu sehen waren.
b) Ist danach auf der ersten Stufe dem Versicherungsnehmer der Beweis des äußeren Bildes eines Diebstahls gelungen, kann der Versicherer den Gegenbeweis dadurch führen, dass er konkrete Tatsachen nachweist, die die Annahme der Vortäuschung eines Versicherungsfalles zumindest mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahelegen (vgl. BGH, Urt. v. 13.01.1991 - IV ZR 74/90). Allein dass der Versicherungsnehmer nicht lückenlos schlüssige Angaben macht - wie hier beispielsweise zu den Schlüssel- und Nutzungsverhältnissen - und dabei möglicherweise auch eine Aufklärungsobliegenheit verletzt, kann für sich genommen diese erhebliche Wahrscheinlichkeit nicht nahelegen, wenn nicht noch weitere Verdachtsmomente im Hinblick auf die Vortäuschung einer Straftat vorliegen (BGH, Urt. v. 17.05.1995 - IV ZR 279/94 und Brockmüller, a.a.O., S. 189). Derartige Verdachtsmomente kann der Senat in der Gesamtschau dem...