Leitsatz (amtlich)

1. Die Behauptung, in einem Dieselfahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten, ist nur dann beachtlich, wenn hierfür greifbare Anhaltspunkte angeführt werden, die sich auf den gleichen oder einen vergleichbaren Motortyp beziehen, der in dieselbe Schadstoffklasse gehört.

2. Kam es nach den im Zeitpunkt der Genehmigung geltenden Vorschriften allein auf die Prüfstandsbedingungen an, können Messungen im Straßenbetrieb derartige Umstände nicht begründen.

3. Gleiches gilt für ein Ermittlungsverfahren gegen den betroffenen Motorenhersteller, wenn nicht aufgezeigt wird, dass dieses einen vergleichbaren Fahrzeugtyp betrifft.

4. Ein "weiteres" Thermofenster im Funktionsbereich zwischen -24°C und +70°C ist keine unzulässige Abschalteinrichtung.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 2 O 1468/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 19.08.2022, Az.: 2 O 1468/21 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 68.688,83 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Wohnmobil.

Er erwarb mit Kaufvertrag vom 13.07.2015 privat das gebrauchte Wohnmobil der Marke Dethleffs Alpa A 6820-2, FIN xxx00000000000009, EZ: 28.07.2014, Kilometerstand: 16.000 Km, zu einem Kaufpreis von 79.000,- EUR. Die Beklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs des Wohnmobils, Marke Fiat Ducato, und des in diesem verbauten Motors Multijet 180 (130 kW), 3.0 l (2.999 ccm), Schadstoffklasse Euro 5 ohne SCR-Katalysator und der dazugehörigen Software. Das Fahrzeug ist nicht von einem amtlichen Rückruf betroffen. Der Tachostand am 22.07.2023 betrug 55.658 Km.

Der Kläger hat behauptet, der in Rede stehende Motor verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007. Die Abgasrückführung werde durch eine im Fahrzeug verbaute Software temperaturgesteuert bei Temperaturen zwischen 20°C bis 30°C zurückgefahren (Thermofenster). Die Abgasrückführung (AGR) werde nach 22 Minuten abgeschaltet (sog. Timerfunktion) bzw. nach einer definierten Anzahl von Zyklen werde die AGR-Rate auf nahezu Null zurückgefahren und die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators deaktiviert. Dies ergebe sich aus einem Schreiben des KBA vom 16.05.2016, einem Ergebnisprotokoll "Abgasuntersuchung Bosch" sowie einer Auskunft des KBA vom 08. Mai 2020 (Anlagen K4, K5, K9). Da der Fahrzyklus auf dem Prüfstand knapp 20 Minuten andauere, werde damit die Zulassungsbehörde getäuscht. Die Typengenehmigung sei daher erschlichen worden. Die Firma Bosch habe 2016 eingeräumt, unzulässige Motorsteuerungsgeräte geliefert zu haben. Das KBA habe 2016 Kenntnis über eine unzulässige Abschalteinrichtung gehabt und die italienischen Behörden sowie die Europäische Kommission informiert. Die EU habe aus diesem Grund im Mai 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet, und die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittle gegen die Verantwortlichen der Firma Fiat seit Juli 2020. Es drohe ein Rückruf des Fahrzeuges. Die Beklagte treffe eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Funktionsweise der Abgasrückführung. Den Verantwortlichen der Beklagten sei die unzulässige Abschalteinrichtung bekannt gewesen. Dies könne durch Parteieinvernahme der Vorstände der Beklagten festgestellt werden.

Die Beklagte hat bestritten, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Im streitgegenständlichen Basisfahrzeug komme keine Emissionsstrategie zum Einsatz, die bewirke, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit vom Ablauf eines bestimmten Zeitraumes auf Null reduziert werde. Da im streitgegenständlichen Basisfahrzeug kein NOx-Speicherkatalysator verbaut sei, gehe auch die diesbezügliche Manipulationsbehauptung ins Leere. Die für den Nachweis angeblich unzulässiger Abschalteinrichtungen in Bezug genommenen Schreiben und Auskünfte beträfen nicht das streitgegenständliche Fahrzeug. Soweit der Kläger auf Untersuchungen der DUH verweise, seien diese nicht maßgeblich, weil die Prüfungen im realen Straßenbetrieb erfolgt seien. Maßgeblich sei aber das Prüfverfahren nach NEFZ. Für dieses bestehe eine Typengenehmigung der italienischen Behörde, diese habe Tatbestandswirkung auch in anderen Mitgliedsstaaten. Es seien keine Falschangaben gegenüber den Behörden gemacht worden. In dem in Rede stehenden Fahrzeug sei keine Steuerungssoftware der Firma Bosch verbaut. Auf das Vorhandensein eines Thermofensters komme es nicht an, da bereits höchstrichterlich entschieden sei, dass der Einbau nicht sittenwidrig sei. Es sei unerheblich, ob es in den USA...

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