Leitsatz (amtlich)
1. Ein Käufer eines Neufahrzeugs mit EA-189-Dieselmotor hat gegen die Herstellerin des Fahrzeugs, die auch Herstellerin des Motors ist, nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB einen Anspruch aus § 852 BGB, auch wenn er das Fahrzeug nicht unmittelbar bei der Herstellerin erworben hat.
2. § 852 BGB gibt dem Neuwagenkäufer die Wahl, entweder das vom Fahrzeughersteller "Erlangte" oder dessen durch das Delikt erlangten Gewinn zu verlangen (Anschluss an BGH, Urt. v. 26.03.2019, X ZR 109/16). Der Höhe nach ist der Anspruch begrenzt durch die Höhe des verjährten Anspruchs.
3. Das auf Kosten des Neuwagenkäufers "Erlangte" ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung der Betrag, den der Fahrzeughersteller vom Fahrzeughändler erhalten hat. Ob hiervon Herstellungskosten in Abzug zu bringen sind, kann im Rechtsstreit offen bleiben, wenn der Fahrzeughersteller diese Kosten nicht hinreichend substantiiert darlegt.
Verfahrensgang
LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 417/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 30.04.2021, 1 O 417/20, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.380,73 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 09.09.2021 sowie weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.200,97 EUR für den Zeitraum vom 12.12.2020 und dem 08.09.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKW ... mit der Fahrgestell-Nr. ....
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 85 % und der Kläger zu 15 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadenersatzforderungen geltend im Zusammenhang mit der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung im Motor seines Autos.
Am 10.07.2014 erwarb der Kläger beim Autohaus O... H... in G... den PKW ... zum Preis von 36.300,00 EUR als Neuwagen. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor vom Typ EA 189 der Schadstoffklasse Euro 5 verbaut, dessen Motorsteuerungssoftware erkennt, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen wird. In diesem Fall schaltet der Motor in einen speziellen Modus zur Reduktion der Stickstoffemissionen (Modus 1).
Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands wird der Motor dagegen im Modus 0 betrieben, in dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickstoffausstoß höher ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt wertete die betroffene Software nach deren Bekanntwerden als unzulässige Abschalteinrichtung und gab der Beklagten im Oktober 2015 auf, diese zu beseitigen und die Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften anderweitig zu gewährleisten.
Der Kläger hat mit seiner am 19.11.2020 beim Landgericht eingegangenen und am 11.12.2020 zugestellten Klage erstinstanzlich im Wege der Stufenklage beantragt, die Beklagte zur Auskunftserteilung darüber zu verurteilen, welchen Händlerkaufpreis sie aus dem Fahrzeugverkauf erlangt und welche Nutzungen sie aus dem Erlangten gezogen hat, und nach Erteilung der Auskunft und ggfls. eidesstattlicher Versicherung den Kaufpreis sowie gezogene Nutzungen abzüglich der Differenz zwischen Kaufpreis und Händlerkaufpreis und einer Nutzungsentschädigung an den Kläger zu zahlen. Die Beklagte hat Verjährung eingewandt. Ein etwa bestehender Anspruch sei bei Klageerhebung 2020 verjährt gewesen. Ein Anspruch aus § 852 BGB stehe dem Kläger nicht zu, da diese Vorschrift auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Deliktische Ansprüche des Klägers aus dem Fahrzeugkauf seien verjährt. Einen Anspruch aus § 852 BGB könne der Kläger nicht geltend machen, da diese Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion dahin auszulegen sei, dass sie für Fälle, in denen dem Geschädigten eine konkrete Möglichkeit offenstand, seinen Schaden - durch Anschluss an die Musterfeststellungsklage - geltend zu machen, keine Anwendung finde. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Berufung.
Der Kläger meint, zu Unrecht habe das Landgericht eine Verjährung des von ihm geltend gemachten Restschadenersatzanspruchs angenommen. Für eine eingeschränkte Anwendung des § 852 BGB gebe es keine Anhaltspunkte.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger den (unstreitigen) Kilometerstand seines Fahrzeugs (130.298 km) mitgeteilt und vor dem Hintergrund, dass er selbst der Annahme ist, dass der anzurechnende Nutzungsvorteil die Händlermarge übersteige, von se...