Leitsatz (amtlich)
1. Fehleinschätzungen im Rahmen von Abfindungsvereinbarungen mit einem Haftpflichtversicherer liegen grundsätzlich im Risiko der Vertragsparteien. Die Sittenwidrigkeit eines Abfindungsvergleiches kann daher nicht aus Umständen hergeleitet werden, die dem Versicherer bei Abschluss des Vergleiches nicht bekannt waren.
2. Der Versicherer ist nicht verpflichtet, im Interesse des Geschädigten Ermittlungsakten beizuziehen oder Auskünfte von Kranken-, Renten- oder Unfallversicherungsträgern einzuholen, bevor er den Abschluss eines Abfindungsvergleiches anbietet.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Urteil vom 23.09.2016; Aktenzeichen 5 O 2154/13) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Chemnitz vom 23.09.2016 - Az. 5 U 2154/13 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 36.062,41 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens und Feststellung der Einstandspflicht für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aufgrund eines Verkehrsunfalls.
Am 22.11.2010 erfasste die Beklagte zu 2. mit ihrem Fahrzeug die Klägerin als Fußgängerin, als diese die Straße überqueren wollte. Die Beklagte zu 2. ist bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversichert. Wegen der Einzelheiten des Unfallgeschehens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Vorgerichtlich hatte die Beklagte zu 1. nach zunächst ergebnislosen Bemühungen um Aufklärung des Sachverhalts der Klägerin mit Schreiben vom 29.06.2011 zur "Erledigung der Sache" eine Einmalzahlung i.H.v. 4.000,00 EUR angeboten. Dieses Angebot nahm die Klägerin durch Unterzeichnung zwei Tage später an (Anlagen B 1 bis B 3).
In dieser Vergleichs- und Abfindungserklärung heißt es u.a.:
"Auf alle weiter gehenden Ansprüche verzichte ich endgültig. Das gilt insbesondere für bereits entstandene aber nicht erkennbare, für alle vorhersehbaren, nicht vorhersehbaren und unerwarteten künftigen Ansprüche und Spätfolgen, die sich aus dem oben bezeichneten Ereignis und dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ergeben."
Am 05.04.2011 ging bei der Beklagten zu 1. ein Schreiben der Klägerin ein, mit dem sie mitteilte, sie habe ihre Entscheidung noch einmal überdacht und wolle nun eine Zahlung von 10.000,00 bis 15.000,00 EUR (Anlage K 5). Dies wurde beklagtenseits unter Berufung auf die aus ihrer Sicht wirksame Abfindungsvereinbarung abgelehnt.
Wegen der Einzelheiten des Ablaufs der Verhandlungen bis zum Abschluss des Abfindungsvergleiches wird ebenfalls auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Nach erfolglosen Nachverhandlungen hatte die Klägerin zunächst ein Mindestschmerzensgeld i.H.v. 12.500,00 EUR, auf das sie sich die Hälfte der vorgerichtlichen gezahlten 4.000,00 EUR anrechnen ließ, also 10.500,00 EUR, und nach Abzug weiterer 2.000,00 EUR 7.002,99 EUR materielle Schäden eingeklagt, ihre Klage hinsichtlich der materiellen Schäden dann aber rund eineinhalb Jahre nach Klageerhebung auf 20.562,41 EUR erhöht.
Einen vor Klageerhebung gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe hatte das LG zunächst unter Verweis auf die unterzeichnete Vergleichs- und Abfindungserklärung zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Das Beschwerdegericht hat hingegen angenommen, den Beklagten werde es nicht gelingen, einen Mitverschuldensanteil der Klägerin nachzuweisen, so dass voraussichtlich von einer hundertprozentigen Haftung der Beklagten auszugehen sei. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass der Vergleich in einem besonders krassen Missverhältnis zu den tatsächlichen Ansprüchen der Klägerin stünde (Beschluss vom 22.01.2015, 7 W 538/14, Bl. 47 ff. dA).
Das LG hatte daraufhin den seinerzeit sachbearbeitenden Angestellten der Beklagten zu 1., Herrn B. M., als Zeugen vernommen und danach die Klage abgewiesen.
Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie vor allem eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das LG und fehlerhafte rechtliche Ausführungen zum Begriff der "Sittenwidrigkeit" rügt. Im Zusammenhang mit ihrer Argumentation zum krassen Missverhältnis zwischen den Ansprüchen der Klägerin einerseits und der Gegenleistung der Beklagten andererseits wiederholt sie ihre Auffassung, derzufolge mit dem Vergleich auch sämtliche denkbaren Ansprüche gegen Dritte, beispielsweise Sozialversicherungsträger, erfasst gewesen seien.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des am 23.09.2016 verkündeten Urteils des LG Chemnitz, Az. 2 O 2154/13
1. die Beklagte...