Leitsatz (amtlich)
Geltendmachung der Nichtigkeit eines Abfindungsvergleichs durch das Unfallopfer.
Normenkette
BGB § 138
Verfahrensgang
LG Detmold (Urteil vom 18.12.2014; Aktenzeichen 9 O 95/14) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 18.12.2014 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des LG Detmold wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 147 ff. GA) Bezug genommen, wobei hinsichtlich des Klageantrags zu 1) bzgl. der dort - wie auch im jetzigen Berufungsantrag - zitierten (im angefochtenen Urteil bei diesem Antrag nicht ausdrücklich mit aufgenommenen) Abfindungserklärung auf die bei der Antragstellung im Termin am 13.11.2014 (Bl. 139 R GA) in Bezug genommene Klageschrift (Bl. 2 GA) verwiesen wird.
Das LG hat die Eltern des Klägers persönlich angehört (vgl. Bl. 139 R GA) und mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger könne die Feststellung der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Abfindungserklärung nicht verlangen.
Diese Abfindungserklärung sei zunächst nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Dabei sei zum einen zu berücksichtigen, dass der Kläger damals anwaltlich vertreten gewesen sei und dementsprechend keine ungleiche Verhandlungsstärke auf Klägerseite vorgelegen habe, zumal der Kläger zum - über 1 Jahr nach dem haftungsbegründenden Verkehrsunfall liegenden - Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses aufgrund der bereits zuvor seitens der Beklagten gezahlten über 300.000 EUR auch nicht mittellos dagestanden habe. Selbst wenn man von einer ungleichen Verhandlungsstärke ausginge, fehle es aber auch an einer - für die Annahme einer Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB erforderlichen - ungewöhnlich starken Belastung des Klägers durch die getroffene Abfindungsvereinbarung. Der Kläger habe immerhin fast 900.000,- EUR von der Beklagten bekommen und (u.a.) Ansprüche auf Ersatz von Pflegekosten ab 2009 seien vorbehalten geblieben. Leistungen der Kranken- und Pflegekassen und diesbezügliche Regressforderungen seien von dem Vergleich nicht betroffen, so dass der Abfindungsvergleich auch nicht gemeinwohlschädigend sei.
Eine Sittenwidrigkeit des Vergleichs nach § 138 Abs. 2 BGB sei ebenfalls zu verneinen. Es sei - angesichts der anwaltlichen Vertretung und der bereits zuvor gezahlten über 300.000 EUR - nicht die Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen, eine Willensschwäche oder eine Zwangslage des Klägers (bzw. dessen Eltern) ausgenutzt worden. Im Übrigen sei auch kein auffälliges Missverhältnis des beiderseitigen Nachgebens gegeben. Die Eltern hätten nicht darlegen können, welche Beträge ursprünglich im Raum gestanden bzw. ihren ursprünglichen Vorstellungen entsprochen hätten. Selbst auf Basis der jetzt vom Kläger vorgetragenen Zahlen wäre es - angesichts der erheblichen Prognose-Unsicherheiten und der Beweislast des Klägers - fraglich, ob dies letztlich zu einem auffälligen Missverhältnis führen könne; denn der gezahlte Betrag von 867.200 EUR mache im Verhältnis zu dem vom Kläger jetzt prognostizierten Schaden von 3.124.723,45 EUR etwa 28 % aus, wobei der letztgenannte Betrag noch gar nicht vollständig fällig, mithin abzuzinsen gewesen wäre und dem Kläger durch die Abfindungsvereinbarung erheblicher Verwaltungsaufwand erspart worden sei. Im Übrigen seien viele der jetzt vorgetragenen materiellen Schadenspositionen unsubstantiiert (etwa die Fahrtkosten für Arzt- und Therapiebesuche, die Fahrtkosten naher Angehöriger für Besuchsfahrten, die Kosten für die Pflege des Klägers zu Hause), aus rechtlichen Gründen nicht zugunsten des Klägers ersatzfähig (wie etwa die Kosten für Pflege während der stationären Aufenthalte, jährliche Mehraufwendungen für behindertengerechte Urlaube, der begehrte Haushaltsführungsschaden sowie geltend gemachte Schäden der Eltern), überhöht (wie etwa der geltend gemachte Verdienstausfallschaden) und/oder seien ohnehin nach der Abfindungsvereinbarung dem Kläger vorbehalten geblieben (namentlich die Pflegekosten und etwaige Schäden der Eltern). Auch die Einigung auf einen Schmerzensgeldbetrag von 250.000 EUR erscheine nicht unangemessen.
Mangels eines krassen Missverhältnisses hinsichtlich des gegenseitigen Nachgebens sowie im Hinblick darauf, dass etwa der Eintritt von etwa zu einem solchen Missverhältnis führenden weiteren, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses noch unbekannten Folgen beim Kläger von diesem schon nicht dargelegt sei, komme auch eine Anpassung oder Aufhebung der Abfindungsvereinbarung nach § 242 BGB oder ...