Leitsatz (amtlich)
1. Ein durch eine Kühlmittel-Solltemperaturregelung optimiertes Emissionsverhalten, das sich auf die Warmlaufphase des Fahrzeugs beschränkt, stellt eine unzulässige Abschalteirichtung dar.
2. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen vermeidbaren Verbotsirrtum wegen einer erteilten EG-Typgenehmigung, hat er konkret darzulegen, welche Unterlagen dem Kraftfahrtbundesamt vor der Erteilung vorgelegt wurde.
3. Ein Vorteilsausgleich wegen eines nachträglich aufgespielten Software-Updates kommt nur dann in Betracht, wenn dieses die Gefahr von Betriebseinschränkungen signifikant reduziert und nicht seinerseits eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 10 O 722/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichtes Dresden vom 19.08.2022 - 10 O 722/20 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.275 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.05.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreites beider Instanzen tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 42.750 EUR und ab dem 27.06.2024 auf bis zu 20.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt zuletzt von dem Fahrzeughersteller Differenzschaden. Seinen Antrag auf Schadensersatz in Form von Zahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung seines Fahrzeuges hat er mit Schriftsatz vom 20.06.2024 für erledigt erklärt.
Er erwarb von einem Dritten am 02.02.2015 zum Kaufpreis von 42.750,00 EUR einen Pkw Mercedes Benz GLK 220 CDI 4 MATIC, Blue Efficiency, 7G-Tronic, 2,2 Liter, 125 KW, Baujahr 2014 (Baureihe 204) bei einer Laufleistung von 2.090 Kilometer. Das Fahrzeug ist mit einem Motor OM 651, Euro 5 ausgestattet. Für das Fahrzeugmodell besteht ein verpflichtender Rückruf seit dem 02.08.2019 (Anlage K19). Gegenstand des Rückrufes ist das geregelte Kühlmittelthermostat (Bl 262 LG; Seite 4, 19 des Schriftsatzes der Beklagten vom 05.02.2021). Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten wurde ein Software-Update bereits vor diesem Zeitpunkt aufgespielt. Die Beklagte hat gegen den für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit älterem Softwarestand ergangenen Rückrufbescheid Widerspruch eingelegt (Bl. 361/362 d. A.). Der Kläger hat das Fahrzeug am 06.11.2023 bei einer Laufleistung von 139.266 km zum Preis von 16.400 EUR veräußert.
Der Kläger hat behauptet, das KBA habe verschiedene illegale Funktionalitäten identifiziert. So sei ein Thermofenster verbaut. Die Rate der Abgasrückführung werde abhängig von der Umgebungstemperatur zurückgefahren. Schon bei 7°C oder darunter sei die Abgasrückführung um bis zu 48 % niedriger als bei höheren Temperaturen. Bei Unterschreiten einer bestimmten Temperatur werde sie ganz abgeschaltet. Der bundesweite Gebietsmittelwert der Lufttemperatur liege bei 8,2 Grad. Des Weiteren sei eine Kühlmittel-Sollwerttemperatur-Regelung (KSR) vorhanden. Die Funktion halte den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter, verzögere die Aufwärmung des Motoröls und sorge so dafür, dass beim gesetzlichen Prüfzyklus der Grenzwert für Stickoxide (180 mg/km) eingehalten werde. Im Straßenbetrieb werde die Funktion dagegen deaktiviert und der Grenzwert deutlich überschritten. Somit werde außerhalb der Prüfbedingungen ein AGR-Kennfeld mit niedrigen AGR-Raten genutzt als unter Prüfbedingungen. Eine Absenkung der AGR-Rate führe zu erhöhten Stickoxid-Emissionen. Außerhalb der Prüfbedingungen werde die Rate der AGR (Abgasrückführung) verringert, indem über das elektrisch geschaltete Kühlwasserthermostatventil die Motorkühlwassertemperatur und damit die Motoröltemperatur zunächst niedrig gehalten werde. Anhand bestimmter Parameter werde der Prüfstand erkannt und die Kühlmittel Solltemperatur Regelung auf 70°C statt üblicher 100°C geregelt. Im realen Fahrbetrieb hingegen würden die Bedingungen, unter denen die höhere Solltemperatur von 100 Grad angesteuert werde, mit den ersten Anfahren erreicht (vgl. Bl 411ff). Die Beklagte habe sittenwidrig gehandelt. Ohne die Täuschung hätte der Kläger den Vertrag nicht abgeschlossen.
Die Beklagte meint, der Kläger habe nicht schlüssig vorgetragen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei. Ein Thermofenster sei nicht verbaut, das AGR-System sei auch bei zweistelligen Minusgraden noch aktiv. Ein sittenwidriges Verhalten liege nicht vor. Es liege keine Regulierung der Kühlmitteltemperatur vor, die auf dem Prüfstand anders funktioniere als im realen Straßenbetrieb. Die Software erkenne den Prüfstand nicht. Damit fehle es an einer Manipulation. Das geregelte Kühlmittelthermostat diene dazu während des Warmlaufens des Fahrzeuges die Emissionen zu reduzieren, ohne sich dabei nachteilig auf den Motor auszuwirken. Dies stelle eine günstige ...