Leitsatz (amtlich)
1. Nach einer auf eine arglistige Täuschung gestützten Anfechtung seines Krankenversicherungsvertrages hat der Versicherungsnehmer keinen Anspruch auf Übertragung der für die substitutive Krankenversicherung gebildeten Rückstellungen auf den neuen Versicherer.
2. Der nach § 204 Abs. 1 Nr. 2a VVG erforderliche "gleichzeitige" Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages ist bei einer Beendigung des Krankenversicherungsvertrages durch Vergleich mit dem Versicherer nicht gewahrt, wenn der neue Vertrag lediglich nahtlos an das Datum des Vergleichsschlusses, nicht aber an den im Vergleich vereinbarten Beendigungszeitpunkt anknüpft.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 18.10.2017; Aktenzeichen 03 O 3219/16) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18.10.2017, Az 3 O 3219/16, abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 3.765,31 EUR festgesetzt.
Gründe
(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 1, 313a Abs. 1 ZPO)
I. Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache auch Erfolg.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nach Wortlaut und Sachzusammenhang des im Verfahren 3 O 2975/13 vor dem Landgericht geschlossenen Vergleichs vom 10.9.2014 zwar davon auszugehen, dass die dort festgehaltene "Abgeltung aller Forderungen" lediglich Leistungsansprüche des Klägers sowie etwaige Beitragsforderungen und Rückforderungsansprüche der Beklagten, nicht hingegen die hier streitgegenständliche Altersrückstellung abgelten sollte. Der Kläger hat indes gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übertragung der für die substitutive Krankenversicherung kalkulierten Rückstellungen aus § 204 Abs. 1 Nr. 2a VVG. Nach dieser Vorschrift kann bei einem bestehenden Versicherungsverhältnis der Versicherungsnehmer vom Versicherer verlangen, dass dieser bei einer Kündigung des Vertrages und dem gleichzeitigen Abschluss eines neuen Vertrages bei einem anderen Krankenversicherer die kalkulierte Alterungsrückstellung an den neuen Versicherer überträgt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor:
1. Zum einen hat der Kläger den mit der Beklagten bestehenden Krankenversicherungsvertrag nicht gekündigt, denn die Parteien haben sich im Vergleichswege auf eine Beendigung des Vertrages nach erfolgter Anfechtung bzw. Rücktritt durch die Beklagte geeinigt. Im Fall der Anfechtung greift die Vorschrift aber nicht ein. Ziel des in § 204 Abs. 1 Nr. 2 a VVG normierten Tarifwechselrechts ist es, dem Versicherungsnehmer den Wechsel zwischen den Versicherern zu erleichtern, um den Wettbewerb zwischen den Versicherern auch auf Bestandskunden auszudehnen (vgl. Gesetzesentwurf, BT-Drs. 16/3100, S. 92; Prölss/Martin-Voit, VVG, 30. Aufl. 2018, § 204, Rn. 39). Zudem soll der Versicherungsnehmer durch die Möglichkeit, bei einer Kündigung Alterungsrückstellungen in einen neuen günstigeren Tarif mitzunehmen, davor geschützt werden, dass ihm nach einer Tarifschließung durch die zunehmende Vergreisung des verbleibenden Versichertenkollektivs im Alter erhebliche Kostensteigerungen drohen (vgl. Münchener Kommentar-Boetus, VVG, 2. Aufl. 2017, § 204 Rn. 16 m.w.N.). Bei dieser Interessenlage besteht kein Grund, den Anwendungsbereich der Vorschrift erweiternd auszulegen und auch auf die Fälle einer von Versichererseite erklärten Anfechtung des Versicherungsvertrages anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn sich die Parteien - wie hier - nach erklärter Anfechtung in einem Gerichtsverfahren abschließend auf die Beendigung des Vertrages einigen. Auch in diesem Fall liegt kein vom Versicherungsnehmer unter Kostengesichtspunkten initiierter Tarif- oder Versicherungswechsel, sondern eine vom Versicherer herbeigeführte Vertragsbeendigung vor, die vom Versicherungsnehmer erzwungenermaßen akzeptiert wird. Für die seitens des Versicherungsnehmers unfreiwillige Beendigung des mit der Beklagten bestehenden Versicherungsverhältnisses spricht auch, dass der Kläger bei seiner neuen Krankenversicherung nur in einen Basistarif wechseln konnte.
2. Zum anderen ist auch der von § 204 Abs. 1 Nr. 2 a VVG geforderte gleichzeitige Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages nicht gegeben. Der Kläger hat den mit der DKV bestehenden Krankenversicherungsvertrag erst zum 01.01.2014 abgeschlossen, während der mit der Beklagten bestehende Vertrag zum 13.02.2013 beendet wurde.
Auf die rückwirkende Beendigung der Krankenversicherung zu diesem Datum haben sich die Parteien durch den gerichtlichen Vergleich vom 10.9.2014 verständigt. Für den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Vertragsbeendigung ist aber nicht auf den Ablauf der dort vereinbarten Widerrufsfrist am 01.10.2014 abzustellen. Die Bestimmung der Widerrufsfrist in einem Vergleich stellt eine aufschiebende Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 1 BGB allein für dessen Wirksamkeit. Mit deren Ablauf tritt die Beendigung des Krankenversicherungsvertrages zum...