Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung durch den Versicherungsnehmer, Krankheitskostenversicherung, Anwartschaftsversicherung, Krankheitskostenvollversicherung, Alterungsrückstellung, Neuer Versicherungsvertrag, Versicherungsvertragsgesetz, Versicherungsverhältnis, Übertragungswert, kleine Anwartschaft, Gesetzliche Krankenversicherung, Krankenversicherungsvertrag, Substitutive Krankenversicherung, Bestehende Krankenversicherung, Private Krankenversicherung, Krankenversicherungspflicht, Krankenversicherungsschutz, Versichererwechsel, Anderer Versicherer, Krankentagegeldversicherung
Leitsatz (amtlich)
Die (beschränkte) Portabilität von Altersrückstellungen (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a VVG) kommt dem Vn auch dann zugute, wenn er aus einer "kleinen" Anwartschaft unmittelbar zum neuen Krankenversicherer wechselt.
Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 22.10.2021; Aktenzeichen 32 O 185/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 22.10.2021, Az. 32 O 185/21 Ver, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.1. Der Beklagte wird verurteilt, 5.372,28 EUR als Alterungsrückstellung zugunsten des Klägers an die [neue Krankenversicherung des Klägers], Versicherungs-Nr. ..., zu übertragen.
1.2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 25.02.2021 zu bezahlen.
1.3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens tragen der Beklagte 9/10 und der Kläger 1/10.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision des Beklagten gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger litt seit seiner Kindheit bis in die 2010er Jahre an asthmatischen Beschwerden, aufgrund derer er sich bis 2013 regelmäßig einer Inhalationstherapie unterzog.
Zum 01.02.2014 schloss der damals gesetzlich krankenversicherte Kläger bei dem Beklagten eine private Krankenzusatzversicherung im Tarif XX ab.
Im Zusammenhang mit dem Ende seiner Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Ablauf des 31.12.2015 beantragte der Kläger am 23.12.2015 bei dem Beklagten die Umstellung seiner Krankenzusatzversicherung in eine private Krankheitskostenvollversicherung. Im Rahmen seines Antrags (Anlage B 1) gab er wahrheitsgemäß u.a. an, in den letzten drei Jahren wegen eines Fibromyalgiesyndroms und allergischen Asthma bronchiale behandelt worden zu sein. Ferner legte er ein Attest von Dr. [Arzt] vom 22.12.2015 (Anlage K 7) vor, aus dem sich ergab, dass er wegen einer Depression vom 24.07. bis zum 21.08.2013 stationär und bis Anfang 2014 ambulant behandelt worden sei.
Der Beklagte stellte am 20.01.2016 den Versicherungsschein (Anlage B 4) aus. Aufgrund der o.g. Vorerkrankungen wurden dem Kläger auf die Tarife X und Y Risikozuschläge von jeweils 30% (insgesamt 90,76 EUR, vgl. Anlage B 2) berechnet. Ferner wurde dem Kläger unter der Bezeichnung "Z" gem. § 149 VAG ein monatlicher Prämienzuschlag zur Bildung einer Alterungsrückstellung i.H.v. 1,62 EUR berechnet (vgl. Anlage B 4).
Die einbezogenen "Allgemeine[n] Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung" des Beklagten (Anlage K 2 - im Folgenden: AVB) enthalten u.a. folgende Regelung:
"§ 13 Kündigung durch den Versicherungsnehmer ...
(8) Bei Kündigung einer Krankheitskostenvollversicherung und gleichzeitigem Abschluss eines neuen substituierten Vertrages (§ 195 Abs. 1 VVG - siehe Anhang) kann der Versicherungsnehmer verlangen, dass der Versicherer die kalkulierte Alterungsrückstellung der versicherten Person in Höhe des nach dem 31. Dezember 2008 ab Beginn der Versicherung im jeweiligen Tarif aufgebauten Übertragungswertes nach Maßgabe von § 146 Abs. 1 Nr. 5 VAG (siehe Anhang) auf deren neuen Versicherer überträgt. Dies gilt nicht für vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossene Verträge."
Mit E-Mail vom 07.06.2016 (Anlage B 10) bat der Kläger den Beklagten um Überprüfung seines Risikozuschlags, da ärztlich festgestellt sei, dass er evtl. nicht an Fibromyalgie, sondern einer - zwischenzeitlich ausgeheilten - psychosomatischen Belastung gelitten habe.
Der monatliche Beitrag des Klägers für die Kranken- und Pflegeversicherung bei dem Beklagten betrug ab 01.01.2017 494,07 EUR (Anlage K 1).
Mit Schreiben vom 12.02.2018 (Anlage K 3) teilte der Beklagte dem Kläger mit, der Übertragungswert seiner Krankheitskostenvollversicherung gem. § 6 Abs. 2 Satz 9 VVG-InfoV betrage zum 01.01.2019 5.257,35 EUR.