Leitsatz (amtlich)
1. Zur schadensersatzrechtlichen Einstandspflicht des Geschäftsleiters einer Kapitalanlagegesellschaft wegen unerlaubten Betriebs eines Einlagegeschäfts (hier: prospektgestütztes Einwerben von (Nachrang-)Darlehen bei Kleinanlegern).
2. Zu den Anforderungen an einen unvermeidbaren Verbotsirrtum bei einer aufgrund Intransparenz unwirksamen Nachrangklausel.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 09 O 1773/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.03.2023 - 09 O 1773/22 - unter Aufhebung des Kostenausspruchs abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins ab 07.09.2022 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte und Ansprüche an und aus dem Nachrangdarlehensvertrag mit der U... IV GmbH & Co. KG vom 12./20.09.2016.
2. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 973,66 Euro freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Abtretung der Rechte und Ansprüche an und aus dem Nachrangdarlehensvertag mit der U... IV GmbH & Co. KG vom 12./20.09.2016 in Verzug befindet.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Nachrangdarlehens.
Aufgrund eines von der Klägerin am 12.09.2016 (nicht 15.09.2016) unterschriebenen Zeichnungsscheins für ein "Darlehensangebot der U... IV GmbH & Co. KG", das die Anlagegesellschaft am 20.09.2016 annahm, gewährte sie der Gesellschaft ein verzinsliches Nachrangdarlehen in Höhe von 10.000.00 Euro mit einer Laufzeit bis längstens 31.12.2021 (Anlage A). Der Zeichnung lag ein von der U... IV GmbH & Co. KG ausgegebener Verkaufsprospekt "U... IV, Stand 09.06.2016" zugrunde (Anlage B). Der im Prospekt abgedruckte "Darlehensvertrag" regelt in § 1 Abs. 1, dass der Anleger dem Darlehensnehmer ein "nachrangiges und unbesichertes Darlehen" gewährt. In § 9 des Darlehensvertrags finden sich unter der Überschrift "Nachrangigkeit" nähere Rückzahlungsregelungen, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Der Beklagte fungierte in einer Vielzahl zur sog. U...-Gruppe gehörender Gesellschaften als Geschäftsführer. Er war in den Jahren 2013 bis 2018 auch Geschäftsführer der Komplementärin der U... IV GmbH & Co. KG. Seit Herbst 2020 beanstandete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegenüber mehreren Anlagegesellschaften der U...-Gruppe, dass die ohne bankaufsichtsrechtliche Erlaubnis vorgenommene Einwerbung von Nachrangdarlehen infolge einer fehlenden Deutlichkeit der gegenüber Anlegern verwendeten vorformulierten Nachrangklauseln unzulässig sei; ab dem Jahr 2021 erließ die BaFin gegenüber mehreren Anlagegesellschaften Einstellungs- und Abwicklungsverfügungen nach § 37 Abs. 1 KWG. Vor diesem Hintergrund wurde am 12.09.2022 auch das Insolvenzverfahren über das Vermögen der U... IV GmbH & Co. KG eröffnet (401 IN 1269/22 - Amtsgericht Leipzig). Eine Rückzahlung des von der Klägerin gewährten Darlehens erfolgte nicht.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil er als Geschäftsführer der U... IV GmbH & Co. KG den Betrieb verbotener Einlagengeschäfte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG zu verantworten habe. Daneben hafte der Beklagte wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen nach § 311 Abs. 2 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO, wegen Betrugs bzw. Kapitalanlagebetrugs nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1, § 264a Abs. 1 und 2 StGB sowie wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz. Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Tatbestand der landgerichtlichen Entscheidung und die erstinstanzlich von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Mit dem angegriffenen Urteil vom 08.03.2023 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe nach keiner Anspruchsgrundlage eine Schadensersatzberechtigung zu. Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 Abs. 1 KWG scheide aus. Zwar sei die Rangrücktrittsklausel in § 9 des Darlehensvertrags unwirksam, sodass es sich mangels wirksamer Vereinbarung eines qualifizierten Nachrangs um ein unerlaubtes Einlagengeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG gehandelt habe. Gleichwohl treffe den Beklagten kein Verschulden, weil er einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne...