Leitsatz (amtlich)
1. Die Mitteilung im Beitragsanpassungsschreiben eines privaten Krankenversicherers, wonach "gesetzliche Vorgaben Einfluss auf den Beitrag haben" enthält keinen Hinweis auf einen vorgesehenen Schwellenwert und genügt damit nicht den gesetzlichen Begründungsanfordernissen.
2. Eine wirksame Prämienanpassung bildet fortan die Rechtsgrundlage für den Prämienanspruch in der Gesamthöhe.
3. Ein Feststellungsantrag, dass der Versicherer zur Herausgabe von Nutzungen aus zu Unrecht erfolgten Beitragsanpassungen verpflichtet ist, ist auf den Zeitraum bis zur Rechtshängigkeit zu begrenzen.
4. Der Anspruch auf Nutzungsersatz aus gezahlten Erhöhungsbeträgen verjährt mit dem zugrunde liegenden Rückzahlungsanspruch.
5. Die Sachdienlichkeit für die Zulassung einer im Berufungsverfahren erklärten Aufrechnung ist nicht gegeben, wenn die Aufrechnungsforderung aufgrund gerichtlicher Hinweise erst noch substantiiert werden müsste.
6. Bei einer negativen Feststellungsklage ist kein Feststellungsabschlag vorzunehmen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 1303/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 19. Mai 2023 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Prämienerhöhungen bis zum 31.10.2022 unwirksam waren: im Tarif AEB 50 zum 01.01.2010 um 0,77 EUR, im Tarif SB-W 30 zum 01.01.2017 um 1,15 EUR und im Tarif SB-W 20 V zum 01.01.2017 um 0,11 EUR und der Kläger daher im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 31.10.2022 nicht zur Zahlung der Erhöhungsbeträge verpflichtet war.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.643,71 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 16.07.2022 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 15.07.2022 aus den
a) vom 01.01.2019 bis 31.12.2020 erfolgten Zahlungen des Klägers auf nachfolgende Beitragsanpassungen gezogen hat: Im Tarif AB 30 zum 01.01.2010 um 14,75 EUR, im Tarif AB 30 zum 01.01.2018 um 15,67 EUR, im Tarif AB 20 V zum 01.01.2010 um 6,87 EUR, im Tarif AB 20 V zum 01.01.2018 um 8,60 EUR, im Tarif SB-R 30 zum 01.01.2010 um 2,68 EUR, im Tarif SB-R 30 zum 01.01.2012 um 3,57 EUR, im Tarif SB-R 30 zum 01.01.2017 um 5,80 EUR, im Tarif SB-R 30 zum 01.01.2018 um 1,79 EUR, im Tarif SB-R 20 V zum 01.01.2010 um 1,14 EUR im Tarif SB-R 20 V zum 01.01.2012 um 1,71 EUR, im Tarif SB-R 20 V zum 01.01.2017 um 1,87 EUR, im Tarif SB-R 20 V zum 01.01.2018 um 0,57 EUR,
und
b) vom 01.01.2019 bis 15.07.2022 erfolgten Zahlungen des Klägers auf nachfolgende Beitragsanpassungen gezogen hat: im Tarif AEB 50 zum 01.01.2010 um 0,77 EUR, im Tarif SB-W 30 zum 01.01.2017 um 1,15 EUR und im Tarif SB-W 20 V zum 01.01.2017 um 0,11 EUR.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 85 % und die Beklagte 15 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.932,26 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Beklagten hat lediglich in geringem Umfang Erfolg.
1. Das Landgericht hat der Leistungsklage unter Ziff. 2. des Tenors des angefochtenen Urteils zu Recht stattgegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten, die selbst nicht die Berechnungen des Landgerichts (vgl. Ziffer 18. der Entscheidungsgründe) der Höhe nach angreift, sind die Beitragsanpassungen zum 01.01.2010, 01.01.2012, 01.01.2017 und 01.01.2018 in den jeweiligen Tarifen formell unwirksam gewesen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19 - juris; Urteil vom 20.10.2021, Az. IV ZR 148/20 - juris) erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Der Gesetzeswortlaut sieht die Angabe der "hierfür maßgeblichen Gründe" vor und macht damit deutlich, dass sich diese auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen müssen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht (so BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/16, Rdnr. 26 - juris). Zugleich folgt aus dem Wortlaut "maßgeblich", dass nicht alle Gründe genannt werden müssen, sondern lediglich die für die Prämienanpassung entscheidenden Umstände. In diesem Sinne entscheidend ist nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in den § 155 Abs. 3 und 4 VAG oder in den Allgemeinen Ver...