Leitsatz (amtlich)
1. Eine dem Betroffenen unterstellte Absicht, mit der dessen nach außen sichtbares Verhalten erklärt werden soll, bedarf einer ausreichenden Tatsachengrundlage, um als wertende Schlussfolgerung am besonderen Schutz von Meinungen im Rahmen der Abwägung teilzuhaben.
2. Wurde in der Neuauflage eines Buches die in der Erstauflage enthaltene Äußerung entfernt, bevor der Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, liegt keine Wiederholungsgefahr vor.
3. Das Aufgreifen eines in der Öffentlichkeit verfestigten Bildes einer bundesweit bekannten Politikerin erreicht bei unwahren Tatsachenbehauptungen über die Sozialsphäre regelmäßig nicht die für eine Geldentschädigung erforderliche Eingriffstiefe.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 3430/20) |
Tenor
I. Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 8.4.2022 in Ziff. I teilweise abgeändert:
1. Die Klage wird auch bezüglich der in Ziff. 1 b) enthaltenen Äußerung (Die Klägerin habe Extremisten und Wirrköpfe nicht aus der AfD ausschließen wollen, namentlich: "Eigentlich fordert L...... Selbstverständlichkeiten, doch die Vorstandskollegen stoppen ihn. Noch nicht einmal Extremisten und Wirrköpfe wollen sie ausschließen.") abgewiesen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, über die in Ziff. I.) a), c), d), e), f), g), h) aufgeführten Äußerungen hinaus es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die nachfolgende Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten oder aufzustellen und/oder verbreiten zu lassen:
Die Klägerin habe einen Pakt mit H...... gebrochen, namentlich: "Es ist klar, P...... muss den Pakt mit den Rechten gebrochen haben, noch ehe die Tinte trocken war. Von den wütenden Patrioten damit konfrontiert, versuchen ihre Unterstützer gar nicht erst, den Vertrauensbruch zu leugnen." und "Mit ihrem Vertrauensbruch hatte P......, keine 24 Stunden im Amt, den fragilen Frieden mit einer maßgeblichen Fraktion der AfD schon wieder gebrochen. Diese Geschehnisse tragen dazu bei, dass die Partner dieses Zweckbündnisses sich ein Jahr später als unversöhnliche Gegner gegenüberstehen werden."
II. Die weitergehenden Berufungen der Klägerin und der Beklagten werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 1/5, die Klägerin zu 4/5. Bezüglich der Kosten erster Instanz bleibt es bei der Kostenverteilung des angefochtenen Urteils.
IV. Das Urteil ist für beide Seiten vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 35.000,- EUR, für die Beklagten in Höhe von 9000,- EUR.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 150.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin fordert von den Beklagten die Unterlassung verschiedener Äußerungen aus dem von der Beklagten zu 1) verlegten Buch "Angst für Deutschland - die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert" sowie eine Geldentschädigung. Im Jahr 2013 wurde sie eine von drei Parteisprechern der AfD und Vorsitzende der AfD Sachsen. Im Juli 2015 wurde sie als eine von zwei Bundessprechern wiedergewählt. Sie war "Sprecher der AfD", als B...... L......, der ebenfalls "Sprecher der AfD" war, eine im streitgegenständlichen Buch beschriebene Rundmail verfasste. L...... leitete ein Amtsenthebungsverfahren gegen B...... H...... ein, den damaligen Landesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden der AfD im thüringischen Landtag. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem B...... L...... nicht mehr Mitglied des Vorstands war.
Die Beklagte zu 2) ist Journalistin und Autorin des im Verlag der Beklagten zu 1) erstmals am 01.03.2017 und in zweiter Auflage am 02.05.2018 erschienenen Buches. Erstinstanzlich hat sie beantragt, die Beklagten zur Unterlassung von 15 Äußerungen aus dem streitgegenständlichen Buch sowie zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 50.000,- EUR zu verurteilen. Es wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat dem Unterlassungsantrag bezüglich acht dort näher bezeichneter Äußerungen unter Zurückweisung der auf weitergehende Unterlassung und Verurteilung zur Zahlung einer Geldentschädigung gerichteten Klage stattgegeben. Hiergegen haben beide Parteien selbständige Berufungen eingelegt. Die Beklagte greift ihre Verurteilung nur bezüglich dreier Äußerungen, zu deren Unterlassung sie verurteilt worden ist, an. Die Klägerin begehrt Abänderung des Urteils und Verurteilung der Beklagten entsprechend den erstinstanzlich gestellten Anträgen.
Die Beklagte meint, ihre Verurteilung sei im Umfang ihres Berufungsangriffs zu Unrecht erfolgt. Es handele sich insofern um wahre Tatsachenbehauptungen, die keinen Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin darstellten. Selbst wenn man eine Eingriffsqualität unterstellt, seien die Aussagen von derart geringer Eingriffsintensität, dass das öffentliche Interesse an den Äußerungen die Interes...