Leitsatz (amtlich)
1. Eine juristische Person kann sich gegenüber einer unwahren Tatsachenbehauptung auf die Gewährleistung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen unabhängig davon, ob hierdurch auch ihre wirtschaftliche Wertschätzung betroffen ist.
2. Die unmittelbare Betroffenheit durch eine Äußerung liegt auch dann vor, wenn diese Äußerung im Wahlkampf gegen den politischen Gegner erfolgt und auf diesen zielt, zugleich aber eine Behauptung über den Betroffenen enthält.
3. Dass zu Wahlkampfzwecken auch polemische Zuspitzungen erlaubt sind, kann im Rahmen der Abwägung nicht gegenüber Ansprüchen Dritten, die nicht an diesem Wahlkampf teilnehmen, eingewandt werden.
4. Eine wertneutrale Falschdarstellung, die Unterlassungsansprüche ausschließt, liegt dann nicht mehr vor, wenn eine Beeinträchtigung in nennenswerter Weise zwar nicht feststeht, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden kann.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 1398/22 EV) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 18.11.2022 abgeändert und die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf den Verfügungskläger wörtlich oder sinngemäß folgende Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:
"'Sicherer Hafen': H. und J. haben den Beitritt zur Initiative 'Sicherer Hafen' unterstützt. Folge: Förderung von Schlepperorganisationen, wie 'Mission Lifeline' mit Steuergeldern. Mit diesen Geldern finanziert diese Organisation die Überfahrt von Nordafrikanern über das Mittelmeer in unsere Sozialsysteme.",
wenn dies geschieht, wie im Juli 2022 in dem Flyer "D. retten - K. wählen" in nachfolgend abgebildeter Weise geschehen:
((Abbildung))
II. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfügungsverfahrens.
Gründe
I. (von der Darstellung des Tatbestands wird gem. §§ 540, 313a Abs. 2 ZPO abgesehen).
II. Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers (Klägers) hat vollumfänglich Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Dem Kläger steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch aus §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog zu. Die in dem Flyer "D. retten - K. wählen" enthaltene Äußerung enthält eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, die der Kläger nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht hinnehmen muss.
1. Dass es sich bei dem Kläger um einen eingetragenen Verein und damit um eine juristische Person des Privatrechts handelt, steht der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht entgegen. Es entspricht vielmehr gefestigter Rechtsprechung, dass juristische Personen des Privatrechts nicht nur Ehrenschutz genießen (BGH GRUR 1975, 208 - Deutschland-Stiftung; BGH GRUR 1976, 210 - Der Geist von Oberzell; BGH NJW 2005, 279, 282 und NJW 2009, 1872 Tz. 10 - Fraport-Manila-Skandal), sondern sich auch auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen können (BGH NJW 1994, 1281, 1282), wobei sie allerdings insoweit verfassungsrechtlich nur aus Art. 2 Abs. 1 und nicht auch aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz geschützt sind (BVerfGE 106, 28 = NJW 2002, 3619 Rn. 42 in Juris; Senat, Urteil vom 1. Juni 2018 - 4 U 217/18 -, juris) und sich hierauf nur insoweit berufen können, als sie nach ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und in ihren Funktionen dieses Schutzes bedürfen, d.h. soweit ihr sozialer Geltungsanspruch in ihrem Aufgabenkreis, insbesondere als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen betroffen ist (BGH NJW 1994, 1281, 1282; NJW 1980, 2807, 2808 - Medizin-Syndikat I). In diesen Grenzen steht juristischen Personen sowohl ein Recht am eigenen Bild als auch am eigenen Wort als Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts zu (BVerfGE 106, 28 Rn. 38 ff., insbesondere Rn. 42 in Juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 8. Juli 2015 - 4 U 182/14 -, Rn. 118, juris; Senat, Urteil vom 9. 5. 2017 - 4 U 102/17 -, Rn. 29, juris). Ob der Kläger sich wegen der behaupteten Auswirkungen der streitgegenständlichen Äußerung auf die Spendenbereitschaft seiner Förderer daneben noch auf einen Verstoß gegen § 824 BGB berufen könnte, der die wirtschaftliche Wertschätzung von Personen und Unternehmen vor unmittelbaren Beeinträchtigungen im Wirtschaftsverkehr schützt, die durch Verbreitung unwahrer Behauptungen über sie herbeigeführt werden (Senat, Beschluss vom 15. August 2022 - 4 U 1083/22 -, Rn. 4, juris), kann unter diesen Umständen dahinstehen.
2. Die streitgegenständliche Äußerung stellt bei einer Auslegung am Maßstab des Durchschnittslesers keine Meinungsäußerung, sondern eine unwahre Tatsachenbehauptung dar. In diesem Rahmen ist der gesamte Flyer heranzuziehen, weil Äußerungen nicht für sich genommen, sondern im Gesamtzusammenhang auszulegen sind, in dem sie gefallen sind (vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - und vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03 beide juris). Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehal...