Leitsatz (amtlich)
1. Auf eine Anstalt öffentlichen Rechts ist § 17 Abs. 2 AktG, wonach von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet wird, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist, nicht anwendbar.
2. Ein nach § 36 Abs. 3 GWB als Unternehmen geltendes Bundesland hat ge-mäß § 17 Abs. 1 AktG die Möglichkeit, herrschenden Einfluss auf die von ihr als Anstalt öffentlichen Rechts errichtete Universitätsklinik auszuüben, wenn es nach den Regelungen der einschlägigen Landesverordnung Entscheidun-gen des Aufsichtsrats des Universitätsklinikums über den Wirtschafts- und Stellenplan und den Abschluss von Dienst- und Arbeitsverträgen mit übertarif-licher Vergütung maßgeblich beeinflussen kann.
3. Bei der Ermittlung der Umsatzerlöse nach § 38 Abs. 1 GWB i.V.m. § 277 HGB sind von den Einnahmen staatlicher Lotterien diejenigen Beträge als Erlös-schmälerung i.S.v. § 277 Abs. 1 HGB in Abzug zu bringen, die als Gewinnausschüttung an die Spieler ausbezahlt werden.
4. Bei der Berechnung der Umsatzerlöse nach §§ 35 Abs. 1 Nr. 1, 38 Abs. 1 GWB ist im Grundsatz auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der kartellbehördlichen Entscheidung abzustellen. Nachträglich ein-tretende Veränderungen dieser Verhältnisse bleiben jedenfalls dann unbe-rücksichtigt, wenn die Voraussetzungen des § 35 GWB bei Erlass der kartell-behördlichen Verfügung nicht vorlagen und damit die Fusionskontrolle nicht eröffnet war.
Normenkette
GWB § 35 Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 3, § 38 Abs. 1; AktG § 17 Abs. 1-2; HGB § 277
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Be-schluss des BKartA vom 11.12.2006 aufgehoben.
II. Das BKartA hat die Kosten des Beschwerdever-fahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten zu 1, 3 und 5 zu tragen.
III. Wert des Beschwerdeverfahrens: 5 Mio. EUR.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend: Universitätsklinikum Greifswald) ist als Anstalt öffentlichen Rechts Teil der Beteiligten zu 2 (nachfolgend: Universität Greifswald). Es verfügt über 15 medizinische Fachabteilungen und ist medizinischer Schwerpunkt für die Aufgaben eines Onkologischen Zentrums, eines Perinatalzentrums, eines Kompetenzzentrums für Schlaganfallversorgung sowie eines Geriatrischen Konsils. Das Universitätsklinikum Greifswald erzielte im Jahr 2005 Umsatzerlöse i.H.v. ca ... Mio. EUR.
Der Beteiligte zu 3 (nachfolgend: Land Mecklenburg-Vorpommern) ist Träger der Universität Greifswald. Es erzielte aus Beteiligungen und wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben nach eigenen Angaben im Jahr 2005 Umsatzerlöse i.H.v. ca. 397 Mio. EUR. Zusätzlich hierzu erzielte das Land Mecklenburg-Vorpommern Einnahmen aus den Staatslotterien Lotto und Toto Mecklenburg-Vorpommern. Die Spielerträge betrugen im Jahr 2005 nach Abzug der Lotteriesteuer 101.998.394 EUR. Hiervon erhielten nach dem Regionalisierungsstaatsvertrag ca. 3 Mio. EUR die anderen Bundesländer; die Gewinnausschüttung an die Spieler betrug ca. 56 Mio. EUR.
Die Beteiligte zu 4 (nachfolgend: Kreiskrankenhaus (KKH) Wolgast) wird derzeit als kommunaler Eigenbetrieb des Beteiligten zu 5 (nachfolgend: Landkreis Ostvorpommern) ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt; sie soll jedoch in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt werden. Das KKH Wolgast verfügt über fünf Fachabteilungen (Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie/Geburtshilfe, Pädiatrie und HNO) und erzielte im Jahr 2005 Umsatzerlöse i.H.v. ca. 18 Mio. EUR.
Das Universitätsklinikum Greifswald beabsichtigt, vom Landkreis Ostvorpommern 94,5 % der Anteile an dem KKH Wolgast zu erwerben. Die restlichen 5,1 % der Anteile sollen beim Landkreis Ostvorpommern verbleiben.
Mit Schreiben vom 27.7.2006 meldete das Universitätsklinikum Greifswald das Zusammenschlussvorhaben vorsorglich beim BKartA an. Nach Einleitung des Hauptprüfverfahrens untersagte das BKartA das Zusammenschlussvorhaben mit Beschluss vom 11.12.2006. Sowohl die formellen als auch die materiellen Untersagungsvoraussetzungen seien erfüllt. Der Anwendungsbereich des GWB sei gem. § 35 Abs. 1 GWB eröffnet. Der Schwellenwert des § 35 Abs. 1 Nr. 1 GWB sei erreicht, weil die dem Universitätsklinikum gem. § 36 Abs. 2 Satz 1 GWB zuzurechnenden Umsätze des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2005 den Schwellenwert von 500 Mio. EUR überschritten hätten. Das Universitätsklinikum Greifswald sei ein abhängiges Unternehmen des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Der Beherrschungstatbestand des § 17 Abs. 1 AktG sei allein schon deshalb erfüllt, weil das Land Mecklenburg-Vorpommern das Universitätsklinikum im Jahr 2002 durch Rechtsverordnung errichtet habe und Träger des Klinikums sei. Die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG könne bei einer alleinigen Trägerschaft nicht widerlegt werden. Auch die materiellen Untersagungsvoraussetzungen seien erfüllt, weil das Zusammenschlussvorhaben auf dem Angebotsmarkt für stationäre Krankenhausdienstleistungen im räumlichen Gebiet Greifswald bzw. dem Raum Greifswald...