Leitsatz (amtlich)
Der "bloß" rücksichtslose Überholer macht sich in aller Regel nicht nach § 240 StGB wegen Nötigung strafbar, denn die Einwirkung seines Fahrverhaltens auf andere Verkehrsteilnehmer ist im Zweifel nicht der Zweck, sondern nur die in Kauf genommene Folge seiner Fahrweise.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.03.2007) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der XXIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 7. März 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt und ein 3-monatiges Fahrverbot verhängt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dessen Revision hat mit der Sachrüge vorläufig Erfolg.
1.
Das Landgericht hat festgestellt:
"Am 22. Juni 2005 befuhr der Angeklagte die Weberstraße in Fahrtrichtung Bergheimer Straße in Neuss. An der Kreuzung Weberstraße/Bergheimer Straße zeigte die für ihn geltende Lichtzeichenanlage Rot. Er musste daher sein Fahrzeug hinter dem in erster Position an der Ampel mittig auf dem Fahrstreifen stehenden Motorrad anhalten. Das Motorrad wurde von dem Zeugen E. gesteuert, auf dem Soziasitz saß seine Ehefrau, die Zeugin K.. Als die Lichtzeichenanlage auf Grün wechselte, beschleunigten sowohl der Zeuge E. als auch der Angeklagte ihre Fahrzeuge relativ zügig. Nach dem Passieren der gegenüberliegenden linksseitig angeordneten Verkehrsinsel zog der Angeklagte seinen Wagen nach links auf die Gegenfahrbahn, um das Motorrad zu überholen. Bereits in diesem Zeitpunkt war deutlich erkennbar, dass sich die Fahrbahn nach ca. 20 Metern deutlich verengen würde und der Überholvorgang nur bei einem deutlichen Abbremsen des Motorrads ausgeführt werden könnte. In dem Bereich hinter der rechtsseitig liegenden Tankstellenauffahrt, wo sich der Bürgersteig nach der Auffahrtsenkung wieder anhebt, kam es dazu, dass der Pkw des Angeklagten und das Motorrad auf gleicher Höhe nebeneinander fuhren. Nachdem die Fahrzeuge nunmehr auf die Fahrbahnverjüngung zufuhren, zog der Angeklagte seinen Pkw nach rechts und drängte dadurch das Motorrad ebenfalls immer weiter nach rechts in Richtung Bordsteinkante. Dadurch blieben zwischen dem Pkw des Angeklagten und dem Motorrad des Zeugen E. nur wenige Zentimeter Abstand. Nachdem der Pkw des Angeklagten dem Motorrad des Zeugen E. gefährlich näher kam, musste der Zeuge E., um nicht gegen die Bordsteinkante zu fahren und zu verunglücken, sein Motorrad stark abbremsen, um den Pkw des Angeklagten passieren zu lassen.
Als der Angeklagte an der nächsten Lichtzeichenanlage wieder bei Rotlicht anhalten musste, hielt der Zeuge E. neben diesem auf der Linksabbiegerspur und fragte den Angeklagten, was das eben zu bedeuten gehabt habe. Der Angeklagte antwortete dem Zeugen E. daraufhin sinngemäß: Sie haben rechts zu fahren!"
2.
Diese Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen Nötigung.
a)
Nicht jeder vorsätzliche Regelverstoß im Straßenverkehr, der ein Nötigungselement enthält, ist deshalb eine Nötigung im Sinne des § 240 StGB (vgl. BGHSt 23, 4, 7; 48, 233, 238). Die jedermann zugängliche Erfahrung lehrt, dass "im heutigen Straßenverkehr sich Verkehrsteilnehmer ständig gegenseitig irgendwie behindern" (Rüth, in: LK, 10. Aufl. [1988], § 315b Rdnr. 18; König NStZ 2004, 175, 177). Für solche Fälle stellt die Rechtsordnung ein abgestuftes System von Sanktionen bereit: Wer vorsätzlich gegen eine Verkehrsregel verstößt und dadurch einen anderen behindert, handelt regelmäßig nach § 49 StVO ordnungwidrig im Sinne von § 24 StVG (vgl. nur Nr. 1.2, 2.1, 3.2, 30, 33, 37.1, 38.1, 49, 51, 52 BKatV). Begeht er dabei eine der "sieben Todsünden" im Straßenverkehr und führt das zu einem "Beinahe-Unfall" (BGHSt 48, 119, 124 f mwN), macht er sich nach § 315c StGB wegen Gefährdung des Straßenverkehrs strafbar. Setzt er das von ihm geführte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig mit der Folge eines "Beinahe-Unfalls" ein, ist er nach § 315b StGB wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehrs zu bestrafen (BGHSt 48, 233, 236 f mwN).
b)
Nach allgemeiner Meinung, die der Senat teilt, erfüllen bestimmte Verhaltensweisen im Straßenverkehr den Straftatbestand der Nötigung im Sinne des § 240 StGB (vgl. Maatz NZV 2006, 337 m. zahlr. Nachw.). Das sind namentlich die Fälle, in denen ein Kraftfahrer dicht und bedrängend auf seinen Vordermann auffährt (zuletzt BVerfG NJW 2007, 1669 mwN = DAR 2007, 386 m. Anm. Huhn), seinen Hintermann - aus welchen Gründen auch immer - absichtlich "ausbremst" oder vorsätzlich einen unerwünschten Verfolger "abdrängt". Gemeinsamer Nenner dieser und ähnlicher Fälle ist, dass die Einwirkung auf den anderen Verkehrsteilnehmer nicht die bloße Folge, sondern der Zweck des verbotswidrigen Verhaltens ist (vgl. BGHSt 7, 379, 380; 21, 301, 30...