Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der allgemeinen Missbrauchsaufsicht nach § 65 Abs. 2 EnWG sind auch strukturelle Maßnahmen der Regulierungsbehörde zulässig, die Eingriffe in die Unternehmenssubstanz darstellen. Allerdings sind bei der Frage der Erforderlichkeit und der Angemessenheit solcher Maßnahmen strenge Maßstäbe anzulegen.
2. § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG in der bis zum 3.8.2011 gültigen Fassung begründet keinen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen.
3. Geht die Regulierungsbehörde im Rahmen ihrer allgemeinen Missbrauchsaufsicht gegen einen Verstoß des Netzbetreibers gegen seine Überlassungspflichten aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG vor, so hat sie die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm, insbesondere den wirksamen Abschluss eines neuen Konzessionsvertrags, umfassend zu überprüfen.
4. Verteilungsanlagen, die sowohl der örtlichen als auch der überörtlichen Versorgung dienen, (sog. gemischt genutzte Anlagen) sind vom Überlassungsanspruch des § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG nicht erfasst.
Normenkette
EnWG § 65 Abs. 2; EnWG a.F. § 46 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Bundesnetzagentur (Beschluss vom 26.01.2012; Aktenzeichen BK6-11-052) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur vom 26.1.2012 - BK6-11-052 - aufgehoben.
Die Bundesnetzagentur trägt die im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten sowie die der Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten und Auslagen. Die Beigeladene trägt die ihr entstandenen Kosten und Auslagen selbst.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf ... EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - und des zugrunde liegenden Aufsichtsverfahrens - ist die Verpflichtung der Betroffenen zur Übertragung von gemischt genutzten Mittelspannungsanlagen im Gebiet der Stadtteile der Stadt A. an die Beigeladene und die damit einhergehende Netzentflechtung.
Die Betroffene betätigt sich als Energieversorgungsunternehmen in den Bereichen der örtlichen Versorgung. Unter anderem betreibt sie das Elektrizitätsverteilernetz im Gebiet der Stadtteile der Stadt A. Das Elektrizitätsverteilernetz im Bereich der A. betreibt die Beigeladene.
Bei der Beigeladenen handelt es sich um eine genossenschaftliche Personenvereinigung, an der ca ... Mitglieder, u.a. auch die Stadt A. selbst, beteiligt sind.
Am ... 1992 schloss die Rechtsvorgängerin der Betroffenen mit der Stadt A. für das Gebiet der Stadtteile der Stadt A. einen Stromkonzessionsvertrag, der am 31.12.2011 endete. § 14 dieses Vertrags enthielt eine Endschaftsbestimmung mit folgendem Wortlaut:
"(1) Falls die Stadt nach Ablauf dieses Vertrages die örtliche Versorgung mit elektrischer Energie selbst übernehmen will, ist sie berechtigt und auf Verlangen der B. (Anm. d. Gerichts: Rechtsvorgängerin der Betroffenen) verpflichtet, von der B. die im Vertragsgebiet vorhandenen, für die örtliche Versorgung bei rationeller Betriebsführung notwendigen Anlagen zu übernehmen ...
(3) Als Entgelt hat die Stadt der B. den Sachzeitwert der zu übernehmenden Anlagen zum Zeitpunkt der Übergabe zu vergüten ...
(5) Können sich die Vertragspartner über die zu übernehmenden Anlagen, über das Übernahmeentgelt oder über die notwendigen Entflechtungs- bzw. Einbindungsmaßnahmen nicht einigen, so ist der Sachverhalt einem Gutachterausschuss vorzulegen ..."
Im April 2009 schrieb die Stadt A. die Neuvergabe der Wegenutzungsrechte aus. Durch Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung vom ... 2009 und vom ... 2010 wurde die Beigeladene als neue Konzessionsvertragspartnerin ausgewählt. Die maßgeblichen Gründe für diese Entscheidung wurden öffentlich bekannt gemacht (Öffentliche Bekanntmachung vom ... 2010). Die Stadt A. schloss mit der Beigeladenen einen Konzessionsvertrag, dessen Laufzeit am ... 2012 begann.
Im ... 2010 nahmen die Betroffene und die Beigeladene Verhandlungen über den Übergang des örtlichen Stromversorgungsnetzes (sog. Netzentflechtung) auf. Neben der Pflicht der Betroffenen zur Mitteilung der kalkulatorischen Restwerte und der Art der Berechnung der angemessenen Vergütung waren insbesondere der Umfang der zu übertragenden Verteilungsanlagen in der Mittelspannungsebene, die sowohl der regionalen als auch der überregionalen Versorgung dienen - sog. gemischt genutzte
Leitungen - streitig. Die Beigeladene verlangte von der Betroffenen auch die Übertragung von insgesamt sieben gemischt genutzten Mittelspannungsleitungen sowie die Überlassung des Umspannwerks A.
Das Umspannwerk A. verbindet die 20 kV- mit der 110 kV-Ebene und speist das 20 kV-Mittelspannungsnetz im Gemeindegebiet. Es dient der Bereitstellung von Reserveleitungen, der direkten Reservehaltung für fünf benachbarte Umspannwerke sowie Betriebsschaltungen im größeren Netzverbund. Die gemischt genutzten Mittelspannungsleitungen sind in das 2...