Leitsatz (amtlich)
Das Amtsgericht muss den Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.
Verfahrensgang
AG Mönchengladbach-Rheydt (Entscheidung vom 23.02.2016) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde wird das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Gegen die Betroffene ist mit Bescheid vom 27. April 2015 wegen Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes ein Bußgeld von 80 Euro festgesetzt worden.
Ihren nach Einlegung des Einspruchs gestellten Antrag, sie, von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, hat das Amtsgericht mit Schreiben vom 13. November 2015 abgelehnt. Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem die Betroffene im Hauptverhandlungstermin ausgeblieben war.
Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht ihrem Entbindungsantrag nicht nachgekommen sei und durch die Verwerfung des Einspruchs ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist, da deren Zulassung auf § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG beruht, der Einzelrichter zuständig (vgl. BGHR OWiG § 80a Besetzung 2; OLG Düsseldorf NZV 2002, 99, 100).
Die in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge, mit welcher die Betroffene die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, greift durch.
Durch das angefochtene Verwerfungsurteil ist der Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, da das Amtsgericht dem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen hat. Nicht nur die Nichtberücksichtigung von rechtzeitig vorgebrachten und hinreichenden Entschuldigungsgründen, sondern auch die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines rechtzeitig gestellten Entbindungsantrags verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. OLG Hamm StraFo 2004, 281 u. DAR 2004, 662, 663; OLG Zweibrücken DAR 2000, 86, 87).
Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht (mehr) in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. OLG Hamm a.a.O.; BayObLG DAR 2001, 371, 372; OLG Frankfurt NZV 2012, 192; OLG Bamberg NZV 2013, 612). Vielmehr hat das Gericht dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.
Auf dieser Grundlage kann die Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Der zur Vertretung ermächtigte Verteidiger hatte in dem Entbindungsantrag vom 9. November 2015 die Fahrereigenschaft der Betroffenen zugestanden und erklärt, dass diese im Hauptverhandlungstermin "von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen" werde. Aufgrund dieser Mitteilung war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit der Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war. Die nach der Erklärung, keine weiteren Angaben zur Sache machen zu wollen, verbleibende theoretische Möglichkeit, die Betroffene werde bei Teilnahme an der Hauptverhandlung ihren Entschluss überdenken, reicht nicht aus, eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht zu verweigern (vgl. OLG Köln ZfSch 2001, 186, 187; OLG Zweibrücken DAR 2000, 86, 87). Eine solche rein spekulative und nicht durch konkrete Anzeichen gestützte Erwägung kann eine Aufklärungserwartung im Sinne des § 73 Abs. 2 OVVIG nicht begründen.
Die Aufklärung des Sachverhaltes konnte demnach auch ohne Anwesenheit der Betroffenen durch Erklärungen des schriftlich als Vertreter bevollmächtigten Verteidigers (§ 73 Abs. 3 OWiG) und die Einführung der vorhandenen Beweismittel, insbesondere der Videoaufnahmen, erfolgen. Ferner konnte die schriftsätzliche Bestätigung der Fahrereigenschaft durch Bekanntgabe oder Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdn. 11a).
In der Antragsschrift ist auch dargelegt worden, was der Vert...