Leitsatz (amtlich)

1. Die Versäumung der Erbausschlagungsfrist des § 1944 BGB kann wirksam angefochten werden wegen eines Inhaltsirrtums, der auch darin liegen kann, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Rechtswirkungen erzeugt (Hier macht der Antragsteller - erfolgreich - geltend, er sei davon ausgegangen, dass ihm als Erbe trotz umfangreicher Vermächtnisse auf jeden Fall der Pflichtteilsanspruch bleibe; dass dies gemäß § 2306 BGB nur gelte, wenn er die Erbschaft fristgerecht ausschlage, sei ihm nicht bekannt gewesen.).

2. Die ggf. die Annahme eines beachtlichen Inhaltsirrtums rechtfertigende Gefahr, dass der rechtsunkundige Erbe über die Rechtsfolgen einer Annahme bzw. fehlenden Erbausschlagung im Unklaren ist, besteht auch nach Neuregelung des § 2306 BGB fort (Anschluss des Senats an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.6.2016, NJW 2016, 2954).

 

Normenkette

BGB § 119 Abs. 1 Alt. 1, §§ 1944, 2306 Abs. 1, § 2361

 

Verfahrensgang

AG Dinslaken (Beschluss vom 05.11.2016; Aktenzeichen 14 VI 138/15)

 

Tenor

Der Beschluss des AG Dinslaken vom 5.11.2016 - Az. 14 VI 138/15 - wird aufgehoben.

Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Erbschein vom 25.11.2014 - Az. 14 VI 475/14 - einzuziehen.

Beschwerdewert: bis 13.000,00 EUR

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1 und 3 sind Töchter der Erblasserin; der Beteiligte zu 2 ist ihr Enkel. Am 14.7.2014 wurde ein handschriftliches Testament der Erblasserin vom 31.7.2013 eröffnet, in dem diese Folgendes verfügt hatte:

"... In der Kassette ist für jedem einen Umschlag mit 3.000,00 Euro für P.- G.- H. -P. + E. je tausend Euro. Das Geld auf der Kasse soll nach 6 Wochen verteilt werden

H. D. G. 20.000,00 Euro

P. D. G. 15.000,00 "

C. R. 20.000,00 "

S. R. 15.000,00 "

G. H. 2.000,00 "

E. H. 2.000,00 "

P. S. 2.000,00 "

76.000,00 ""

Mit Datum vom 28.8.2013 ergänzte die Erblasserin außerdem:

"H. -P. R. 2 000,00 "

78 000,00 " "

Weiter heißt es in dem Testament:

"Das Geld was noch übrig ist, kann bis auf 1.500,00 Euro verteilt werden die sollen für Messen und Grabpflege gebraucht werden ..."

Auf Antrag der Beteiligten zu 1 vom 1.10.2014, dem der Beteiligte zu 2 mit Erklärung vom 31.10.2014 zustimmte, erteilte das Nachlassgericht (Az. 14 VI 475/14) am 25.11.2014 einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 bis 3 als Erben zu je 1/3 ausweist. Dabei ging das Nachlassgericht davon aus, dass das Testament vom 31.7.2013 lediglich Vermächtnisse enthalte. Der Wert des ausschließlich aus Kontoguthaben bestehenden Nachlasses belief sich im Zeitpunkt des Erbfalls auf 89.486,00 EUR.

Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 17.3.2015 hat der Beteiligte zu 2 die Versäumung der Ausschlagungsfrist und eine etwa erfolgte Annahme der Erbschaft wegen Irrtums angefochten und die Ausschlagung der Erbschaft erklärt. Er hat geltend gemacht, aufgrund der letztwilligen Verfügung der Erblasserin sei der Nachlass derart mit Vermächtnissen belastet, dass sein Pflichtteil gefährdet sei. Nach dem Tode seiner Großmutter sei er davon ausgegangen, dass ihm als Enkel auf jeden Fall der Pflichtteil bleibe und dass Ansprüche der Vermächtnisnehmer jedenfalls insoweit nicht bestünden. Zum Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft sei ihm nicht bekannt gewesen, dass dies nur gelte, wenn er die Erbschaft innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist ausschlage. Hätte er dies gewusst, so hätte er die Erbschaft nicht annehmen wollen. Erst nachdem seine Cousine S. R. mit anwaltlichem Schreiben vom 5.2.2015 ihren Vermächtnisanspruch gegen ihn geltend gemacht habe, habe er sich anwaltlich beraten lassen und durch eine Email seines Verfahrensbevollmächtigten vom 18.2.2015 von seinem Irrtum erfahren.

Mit Beschluss vom 5.11.2015 hat das Nachlassgericht festgestellt, der Erbschein vom 25.11.2014 sei nicht wegen Unrichtigkeit einzuziehen. Es hat ausgeführt, die Ausschlagung sei erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist von sechs Wochen beim Nachlassgericht eingegangen. Hinsichtlich des Fristbeginns sei auf die Kenntnis der Beschränkungen und Beschwerungen abzustellen. Durch die Testamentseröffnung vom 14.7.2015 (richtig: 2014) habe der Beteiligte zu 2 erfahren, dass sein Erbteil durch Vermächtnisse und Teilungsanordnungen belastet sei. Es sei auch offensichtlich gewesen, dass die beiden Miterbinnen durch die Teilungsanordnungen wirtschaftlich besser gestellt gewesen seien als er. Er hätte sich an dieser Stelle über den Bestand des Nachlasses informieren können, habe jedoch dem Erbscheinsantrag im Anhörungsverfahren uneingeschränkt zugestimmt. Da der Beteiligte zu 2 selbst gewählt habe, komme es auch nicht darauf an, ob er sich einen falschen Eindruck von der Relation des Erbteils zu seinem Pflichtteil gemacht habe. Ein Anfechtungsgrund liege nicht vor. Nach der Neufassung des § 2306 BGB zum 1.1.2010 sei der Inhalt der Vorschrift klarer, so dass hier ein Rechtsirrtum als Anfechtungsgrund nicht ersichtlich sei. Allenf...

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