Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Antragsgegner im Ursprungsverfahren das verfahrenseinleitende Schriftstück (hier: Mahnantrag des Antragstellers an das ungarische Gericht) nicht rechtzeitig erhalten, so hindert dies die Bestätigung der Vollstreckbarerklärung der Entscheidung (hier: Mahnbescheid des ungarischen Gerichts) durch das Beschwerdegericht nicht, wenn der Antragsgegner von dem anhängigen Ursprungsverfahren erst durch Zustellung der landgerichtlichen Vollstreckbarerklärung Kenntnis erlangt und es versäumt hat, noch in diesem Verfahrensstand die zur Verfügung stehenden - zumutbaren - Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Ausgangsstaat einzulegen (Anschluss an die Rechtsprechung des BGH NJW 2011, 3103; NJW-RR 2010, 571, 1001).
2. Eine zur Verteidigung durch ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Ursprungsstaates (hier: Mahnbescheid des ungarischen Gerichts) verpflichtende ("verteidigungsfähige") Kenntnis des Antragsgegners ist nicht gegeben, wenn die erstinstanzliche Exequaturentscheidung nicht mehr als die Entscheidung des ausländischen Gerichts bezeichnet und ihren Tenor referiert.
Normenkette
EuGVVO Art. 34 Nrn. 1-2, Art. 35, 45 Abs. 1-2, Art. 54
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Beschluss vom 09.01.2012; Aktenzeichen 6 O 287/11) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Das Gesuchs der Antragstellerin um Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Stadtgerichts von Keszthely (Ungarn) vom 4.5.2009 (Aktenzeichen Pk. 50.427/2009) vom 24.4.2003 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin
Wert: 8.000 EUR
Gründe
I. Die Antragstellerin beabsichtigt, aus dem Zahlungsbefehl des Stadtgerichts von Keszthely (Ungarn) - Pk. 50.427/2009 - vom 4.5.2009 gegen den Antragsgegner in Deutschland zu vollstrecken.
Auf Gesuch der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 06. Zivilkammer des LG Mönchengladbach am 9.1.2012 wie folgt beschlossen:
"Die Entscheidung des Stadtgerichts von Keszthely (Ungarn) vom 04.05.2009 (Aktenzeichen Pk. 50.427/2009) ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
Zu vollstrecken ist die Verurteilung des Antragsgegners H. S., an die Antragstellerin E. K., Balatonboglàr, 2.5000.000,- HUF [richtig: 2.500.000 HUF] nebst Zinsen i.H.v. 539.926,- HUF und ab dem 1.1.2012 weitere Zinsen i.H.v. 451,- HUF pro Tag sowie weitere 75.000,- HUF Prozesskosten und weitere 200.000,- HUF Kosten zu zahlen."
Gegen diesen ihm am 4.2.2012 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 7.2.2012 eingegangen Beschwerde, der das LG mit Beschluss vom 9.3.2012 nicht abgeholfen hat.
Zur Begründung seines Rechtsmittels macht der Antragsgegner geltend, der Entscheidung des ungarischen Stadtgerichts stünden Anerkennungshindernisse gem. Art. 34 Nr. 2 EuGWO entgegen. Er habe von 1996 bis Anfang Februar 2009 in Ungarn gelebt und dort für die Betreibung von Grundstücksgeschäften die S. K. gegründet. Diese habe die Antragstellerin mit der Buchführung beauftragt. Ein Vertragsverhältnis habe daher lediglich zwischen der S. K.. und der Antragstellerin, nicht zwischen ihm und der Antragsstellerin bestanden. Im Dezember 2008 habe er die S. K. verkauft. Er habe die gesamten Unterlagen von der Antragsstellerin zurückerhalten; das Vertragsverhältnis zwischen der S. K. und der Antragstellerin sei abgewickelt und beendet worden. Anfang Februar 2009 sei er wieder nach Deutschland gezogen. Er habe sich in Ungarn abgemeldet; eine Anschrift sei nach seinem Wegzug dort nicht mehr vorhanden gewesen. Ihm sei weder in Ungarn noch in Deutschland ein Mahnbescheid oder ein ähnliches verfahrenseinleitendes Schriftstück zugestellt worden. Von der vorliegenden Angelegenheit habe er erstmals aufgrund des Schreibens des LG Mönchengladbach vom 12.10.2011 (Übernahmenachricht) Kenntnis erhalten.
Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung verstoße gegen den ordre public; sie verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen. Er habe sich nicht auf das Verfahren eingelassen, sich nicht verteidigen können und zu keiner Zeit die Möglichkeit gehabt, einen Rechtsbehelf einzulegen.
Die Antragstellerin, die um Zurückweisung der Beschwerde bittet, macht geltend, ein Verstoß gegen den ordre public gem. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO sei nicht gegeben; der Antragsgegner begründe einen solchen auch nicht näher.
Ein Verstoß gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVVO sei nicht ersichtlich. Der vorliegende rechtskräftige Mahnbescheid/die Entscheidung des Gerichtes in Keszthely sei auf der Grundlage geltender ungarischer Gesetze erlassen worden. Dazu gehöre auch die Zustellung des Bescheides an den Schuldner gemäß den einschlägigen Gesetzen Ungarns. Nicht immer können sich Schuldner an solche Dinge wie eine "Zustellung" erinnern. Der Antragsgegner habe auch ganz vergessen, dass er weder Ungarn im Februar 2009 verlassen, noch dass er sich jemals von seinem Hauptwohnsitz/Lebensmittelpunkt in Ungarn abgemeldet habe, an dem er nach eigenem Vortrag seit 1996 wohnhaft ist/war. Dies ergebe ...