Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen allein noch vorhandenen Fotokopien ein wirksames Testament zugrunde liegt.
2. Zur Testamentsauslegung dahin, dass das vom Erblasser und seiner (vorverstorbenen) Ehefrau angesammelte Vermögen im Erbgang die Folgegeneration überspringen und unmittelbar (als vom Testierenden eingesetzte Ersatzerben) den quotenmäßig gleich zu behandelnden Enkeln (unterschiedliche Zahl von Kindern aller drei Töchter) zugute kommen solle.
3. Bei der Frage, ob ein Testament vom Erblasser durch Vernichtung widerrufen worden ist, lässt sich der Gesichtspunkt, dass die Anforderungen an den Nachweis einer Vernichtungshandlung nicht zu hoch angesetzt werden dürfen, falls sich das später verschwundene Original bis zuletzt im "Gewahrsam" des Erblassers befand und Anzeichen für Handlungen eines Dritten fehlen, nicht heranziehen, wenn der Erblasser in den Jahren vor seinem Tod nicht in einer gegenüber Dritten weitestgehend geschützten Sphäre wie einer privaten Wohnung, sondern zunächst in einer Seniorenresidenz und hernach in einem Pflegeheim gewohnt hat.
Normenkette
BGB §§ 133, 2247 Abs. 1-2, 3 S. 1, §§ 2254, 2255 S. 1
Verfahrensgang
AG Erkelenz (Beschluss vom 08.07.2015; Aktenzeichen 25 VI 4/14) |
Tenor
Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beteiligten zu 2. zurückgewiesen.
Geschäftswert: 150.000 EUR.
Gründe
I. Der Erblasser war Witwer. Seine Frau V. M.E. verstarb im Mai 2009. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor, die Beteiligte zu 2. sowie ihre beiden älteren Schwestern B. und R.. Der Erblasser hat insgesamt neun Enkelkinder, darunter den Beteiligten zu 1.
Am 8.12.1980 errichtete der Erblasser ein notariell beurkundetes Testament, dessen Regelungen im Ergebnis vorsahen, dass im Falle des Vorversterbens seiner Ehefrau die Beteiligte zu 2. seine alleinige Erbin sein sollte.
Im Januar und April 2014 wurden Fotokopien eines vollständig handschriftlichen Schriftstücks zur Testamentsakte gereicht, das folgenden Wortlaut hatte:
"Testamentliche Verfügung des Unterzeichners über sein Vermögen. (Die testamentliche Verfügung Ur. Nr. 2160/1980 D vom 08.12.80 tritt hiermit außer Kraft)
Nach meinem Ableben beerbt mich meine Frau V. S. geborene O.- mit Ausnahme meines Anteils an der Erbengemeinschaft Schulte..., den meine Schwester... erben soll.
Nach dem Tode meiner Frau (nach meinem Tode) soll über unser gemeinsames Vermögen wie folgt verfügt werden:
Nach Vollendung des 18. Lebensjahres sollen meine 9 Enkelkinder (...) zu gleichen Teilen dann meine Frau beerben.
Bis zum Erreichen der Volljährigkeit...
Kempten, den 20.4.2000
(Unterschrift mit Vor- und Nachname des Erblassers)"
Die verstorbene Ehefrau des Erblassers hinterließ ein eigenhändiges Testament des Inhalts:
"Testamentliche Verfügung
nach dem Tode von V. S. geb. O.
Nach meinem Ableben beerbt mich mein Mann H. S..
Nach dem Tode meines Mannes und nach meinem Tod soll über unser gemeinsames Vermögen wie folgt verfügt werden:
Nach Vollendung des 18. Lebensjahres sollen uns meine 9 Enkelkinder... zu gleichen Teilen beerben.
Bis zum Erreichen der Volljährigkeit...
Kempten, den 6.5.2002
(Unterschrift mit Vor-, Nach- und Geburtsnamen der Ehefrau)"
Nach dem Tode der Ehefrau am 15.5.2009 wurde ein Erbschein nach dieser erteilt, der den Erblasser als Vorerben und die neun Enkel als Nacherben auswies. Im September 2009 wandte sich der Erblasser wegen der Regelung seines Nachlasses an einen befreundeten Rechtsanwalt. Nachdem er, als seine Ehefrau verstorben war, zu-nächst geplant hatte, in ein betreutes Wohnen umzuziehen, erlitt der Erblasser im Sommer 2011 einen Schlaganfall und bedurfte nach dem folgenden Krankenhausaufenthalt bis zu seinem Ableben einer Unterbringung in einem Heim.
Nach dem Tod des Erblassers stellte seine älteste Tochter R. unter dem 5.12.2013 einen auf gesetzliche Erbfolge gestützten Erbscheinantrag, in dem sie angab, Verfügungen von Todes wegen habe ihr Vater nicht hinterlassen. Am 22.10.2013 wurde das Testament des Erblassers aus dem Jahre 1980 vom Nachlassgericht eröffnet. Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 13.1.2014, mit dem sie eine der zuvor wiedergegebenen Fotokopien zur Testamentsakte überreichte, nahm sie diesen Antrag zurück.
Der Beteiligte zu 1. hat zu gerichtlicher Niederschrift am 12.6.2014 einen Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der die neun Enkel des Erblassers als Miterben zu gleichen Teilen ausweist, gestellt und sich hierbei auf das in den Fotokopien wiedergegebene Schriftstück vom 20.4.2000 gestützt. Diesem Antrag ist die Beteiligte zu 2. entgegengetreten.
Nach Durchführung von Ermittlungen hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung ausgesprochen, die zur Erteilung des vom Beteiligten zu 1. beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen würden für festgestellt erachtet, die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses werde ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zu dessen Rechtskraft zurückgestellt.
Gegen diesen ihr am 20.7.2015 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteilig...