Leitsatz (amtlich)
Schlagen der Sohn des Erblassers und dessen Ehefrau für die gemeinsam von ihnen vertretene Tochter (Enkelin des Erblassers) die Erbschaft aus, so liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum über die unmittelbaren und wesentlichen Wirkungen der Ausschlagung vor, wenn die Mutter der Enkelin des Erblassers nicht wusste, dass der Erblasser noch eine Schwester hatte und deshalb - wenn auch in fälschlicher Weise - davon überzeugt war, dass dass es außer ihrem Ehemann und der Ehefrau des Erblassers andere potentielle gesetzliche Erben nicht gab, mithin infolge der Ausschlagung der Nachlass zu 100 % der Ehefrau des Erblassers zufallen werde.
Die Rechtsbeschwerde ist zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob und in welchem Umfang ein Irrtum des Ausschlagenden über die Rechtsfolgen der Ausschlagung einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 Fall 1 BGB darstellt.
Normenkette
BGB §§ 119, 142 Abs. 1, § 1953 Abs. 2; FamFG § 70 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Mülheim a.d. Ruhr (Aktenzeichen 4 VI 480/17) |
Tenor
Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss geändert.
Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Wert: bis zu 30.000 EUR
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1 ist die Ehefrau des Erblassers, der Beteiligte zu 2 sein einziger Sohn und die Beteiligte zu 3 seine Schwester.
Der Erblasser hat keine letztwillige Verfügung hinterlassen.
Am 15. April 2016 erklärte der Beteiligte zu 2, er schlage die Erbschaft aus. Gleichzeitig schlugen er und seine Ehefrau die Erbschaft auch für ihre minderjährige Tochter A aus.
Die Beteiligte zu 1 beantragte sodann ebenfalls am gleichen Tage einen Erbschein als Alleinerbin kraft gesetzlicher Erbfolge.
Das Nachlassgericht teilte der Beteiligten zu 1 daraufhin mit, dass der überlebende Ehegatte in der gesetzlichen Erbfolge nur dann Alleinerbe werde, wenn keine Erben 1. oder 2. Ordnung oder Großeltern vorhanden sind und bat sie um Darstellung der Erbfolge.
Unter dem 25. Mai 2016 erklärte sodann der Beteiligte zu 2 die Anfechtung seiner Erbausschlagung und zusammen mit seiner Ehefrau auch die der Erbausschlagung für die gemeinsame Tochter A wegen Irrtums über die Existenz der Schwester seines Vaters und weil er davon ausgegangen sei, dass seine Mutter durch die Ausschlagungen das Erbe nach seinem Vater zu 100% zufallen werde. Er habe von seiner Mutter nach Rückkehr aus den USA am 10. Mai 2016 erst von der Existenz der Schwester erfahren.
Anschließend beantragten die Beteiligten zu 1 und 2 am 29. Aug. 2016 einen Erbschein zu je 1/2 kraft gesetzlicher Erbfolge.
Das Nachlassgericht wies darauf hin, dass es die Anfechtung der Ausschlagung nicht für wirksam halte. Es liege ein unbeachtlicher Motivirrtum vor, wenn der Anfechtende sich lediglich über die nächstberufene Person geirrt habe.
Nachdem das Nachlassgericht die Anschrift der Beteiligten zu 3 ermittelt und sie beteiligt hatte, stellte die Beteiligte zu 3 ihrerseits einen Erbscheinsantrag, wonach die Beteiligte zu 1 zu × und sie selbst zu 1/4 gesetzliche Erben des Erblassers geworden seien. Sie schildert Umstände, wonach ihre Existenz dem Beteiligten zu 2 bestens bekannt gewesen sei.
Die Beteiligten zu 1 und 2 sind dem entgegengetreten und haben gemeint, der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 könne jedenfalls auch deshalb keinen Erfolg haben, weil - unwidersprochen - die Ehefrau des Beteiligten zu 2 von der Existenz der Beteiligten zu 3 nicht gewusst habe und daher die Ausschlagung für ihre Tochter wirksam habe anfechten können.
Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die zur Begründung des -unter dem Aktenzeichen 4 VI 480/17 bearbeiteten - Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Frage, ob dem Beteiligten zu 2 die Schwester des Erblassers bekannt gewesen sei oder nicht, sei unbeachtlich. Der Irrtum des ausschlagenden Miterben, sein Erbteil falle durch die Ausschlagung einem anderen Miterben an, stelle keinen Irrtum über die Ausschlagungserklärung im Sinne von § 119 Abs. 1 BGB dar.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2. Der Beteiligte zu 2 habe sich allein über eine Tatsache - die Nichtexistenz weiterer möglicher erbberechtigter Verwandter - geirrt.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie mit Beschluss dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde ist nach Nichtabhilfe bei dem Senat zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 FamFG. Sie ist in der Sache begründet.
Auf das vorliegende Erbscheinsverfahren finden die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und des FamFG in der seit dem 17. August 2015 gültigen Fassung Anwendung, weil der Erbfall am 27. März 2016 und damit nach dem nach Art. 229, § 36 EGBGB maßgeblichen Stichtag (17. August 2015) eingetreten ist.
Das Nachlassgeric...