Leitsatz (amtlich)

1. Die Corona-Infektionslage in Frankreich begründet keine die Ablehnung der Rückführung des Kindes rechtfertigende schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ.

2. Die Rückführung nach Frankreich bringt das Kind nicht wegen der Corona-Pandemie iS des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ auf andere Weise in eine unzumutbare Lage.

 

Normenkette

HKÜ Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Düsseldorf (Aktenzeichen 258 F 114/20)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Düsseldorf vom 21.10.2020 wie folgt abgeändert:

1. Die Kindesmutter wird verpflichtet, das beteiligte Kind A. innerhalb von zwei Wochen ab Rechtskraft dieses Beschlusses nach Frankreich zurückzuführen.

2. Kommt die Kindesmutter der Verpflichtung zu Ziffer 1. nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist nach, so ist sie und jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, verpflichtet, das Kind und die in ihrem Besitz befindlichen Ausweispapiere des Kindes an den Kindesvater oder eine von diesem bestimmte Person zum Zweck der Rückführung nach Frankreich herauszugeben.

3. Die Kindesmutter wird darauf hingewiesen, dass das Gericht für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu Ziffer 2. ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 25.000,00 EUR festsetzen sowie für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten anordnen kann. Zudem kann unmittelbarer Zwang angewendet werden.

II. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden der Kindesmutter auferlegt.

III. Beschwerdewert: 5.000 EUR.

 

Gründe

I. Das Kind A. ist aus der nichtehelichen Beziehung der Kindeseltern hervorgegangen. Der Kindesvater hat die Vaterschaft mit Zustimmung der Kindesmutter anerkannt. Die Familie lebte in Frankreich. Am 30.04.2020 ist die Kindesmutter mit A. aus dem bis dahin gemeinsam mit dem Kindesvater bewohnten Haus ausgezogen und hat zunächst eine Ferienwohnung angemietet. Am 06.05.2020 reiste sie mit dem Jungen aus Frankreich aus und begab sich nach K. zu ihren Eltern, wo sie und A. sich seither aufhalten. Im Juli 2020 machte der Kindesvater bei der Familienkammer des Gerichts von L. (Frankreich) ein A. betreffendes kindschaftsrechtliches Eilverfahren anhängig.

Der Kindesvater hat die Rückführung des Kindes nach Frankreich begehrt.

Die Kindesmutter ist dem entgegengetreten und hat auf heftige Streitigkeiten zwischen den Beteiligten verwiesen, die sich durch die im Zuge der Corona-Pandemie verhängte Ausgangssperre verschärft und zu einer unerträglichen Situation in dem gemeinsam bewohnten Haus geführt hätten. Ihre Ausreise mit dem Kind entspreche der Empfehlung des von ihr konsultierten Psychiaters. Sie habe von vornherein nicht die Absicht gehabt, dauerhaft nach Deutschland umzusiedeln, sondern dort lediglich zur Ruhe kommen wollen. In Frankreich habe keine finanzierbare Möglichkeit bestanden, mit A. zu wohnen. Zudem seien die massiven coronabedingten Beschränkungen des Lebens in Frankreich zu berücksichtigen. Der Kindesvater sei über jeden ihrer Schritte informiert gewesen und habe dem befristeten Verbringen des Jungen nach Deutschland zugestimmt, wie sich aus seiner E-Mail vom 26.05.2020 ergebe. Eine Rückkehr nach Frankreich sei mit einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für den Jungen verbunden. Dort gebe es keinen Ort, an dem sie mit ihm sicher und geschützt wohnen könne. Zudem spreche die Entwicklung der Corona-Pandemie gegen eine Rückführung des Kindes nach Frankreich.

Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Zwar lägen die Voraussetzungen für eine Rückführung gemäß Art. 12 Abs. 1 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) grundsätzlich vor. Die Rückführung sei auch nicht mit einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind iS des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ verbunden. Eine Gefahr sei insbesondere nicht aus der Elternbeziehung, dem Vater-Kind-Verhältnis und den häuslichen Verhältnissen abzuleiten, weil diese Aspekte der Prüfung in einem sorgerechtlichen Verfahren vorbehalten seien. Jedoch bringe eine Rückführung das Kind wegen der Corona-Pandemie iS der zitierten Norm auf andere Weise in eine unzumutbare Lage. Denn in Frankreich herrsche angesichts einer 7-Tage-Inzidenz von 205,8 ein gegenüber K. mit einer 7-Tage-Inzidenz von 42,6 um ein Vielfaches höheres Infektionsrisiko. Auch sei zu berücksichtigen, dass Frankreich im Unterschied zu K. Risikogebiet sei und für diesen Staat eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes bestehe.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kindesvater sein Rückführungsbegehren weiter und macht geltend, die Corona-Pandemie begründe keine unzumutbare Lage iS des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ. Die sich täglich ändernde 7-Tage-Inzidenz sei kein tragfähiger Hinderungsgrund für eine Rück...

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