Leitsatz (amtlich)

1. Auch wenn das Maß des Obsiegens und Unterliegens im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht der allein ausschlaggebende Aspekt für die Kostenverteilung ist, kommt ihm doch im Rahmen der Billigkeitsprüfung ein erhebliches Gewicht zu.

2. Liegen aussagekräftige weitere Billigkeitsgesichtspunkte vor, kann nach den konkreten Umständen des Falles eine vom Verfahrensausgang abweichende Kostenverteilung gerechtfertigt sein.

a. Solche Gesichtspunkte können die Art der Verfahrensführung, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, oder bestehende enge familiäre und persönliche Nähe zwischen dem Erblasser und den Verfahrensbeteiligten oder zwischen den Verfahrensbeteiligten untereinander sein.

b. Ebenso kann es der Billigkeit entsprechen, die Kosten einer Beweiserhebung, die nicht durch ein Angriffs- oder Verteidigungsvorbringen einer der Verfahrensbeteiligten veranlasst worden ist, abweichend vom Ausgang des Streitverfahrens zu verteilen, sie beispielsweise den Verfahrensbeteiligten zu gleichen Teilen aufzuerlegen.

3. Andererseits bestimmt der Ausgang des Verfahrens im Ergebnis den Inhalt der Kostenentscheidung nach § 81 Abs. 1 FamFG, wenn andere Billigkeitsgesichtspunkte fehlen oder solche zwar vorhanden sind, sie aber in ihrer kostenrechtlichen Relevanz deutlich in den Hintergrund treten.

 

Normenkette

FamFG § 81 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Emmerich (Aktenzeichen 80 VI 158/20)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Emmerich am Rhein vom 1. Februar 2022 im Kostenausspruch abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:

Die Beteiligte zu 1. hat die gerichtlichen Kosten für die Erteilung des von ihr beantragten Erbscheins zu tragen. Im Übrigen fallen die gerichtlichen Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens einschließlich der Kosten der durchgeführten Beweisaufnahme dem Beteiligten zu 2. zur Last. Dieser hat darüber hinaus der Beteiligten zu 1. die ihr im amtsgerichtlichen Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

II. Die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 2. wird zurückgewiesen.

III. Der Beteiligte zu 2. hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Beteiligten zu 1. die ihr in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Auslagen zu ersetzen.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

V. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren entspricht der Summe der im amtsgerichtlichen Verfahren entstandenen gerichtlichen Kosten (einschließlich der Kosten der Beweiserhebung, aber mit Ausnahme der Gebühr für die Erteilung des Erbscheins) und dem Betrag der notwendigen Auslagen der Beteiligten zu 1. vor dem Amtsgericht. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. entfällt ein Teilbetrag in Höhe der ihr im amtsgerichtlichen Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten und der gerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beweiserhebung und der Gebühr für die Erteilung des Erbscheins; auf die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 2. entfällt ein Teilbetrag in Höhe der Kosten der Beweisaufnahme.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht hat der Beteiligten zu 1., die die Lebensgefährtin des kinderlos verstorbenen Erblassers war, am 16. Juni 2020 antragsgemäß einen Erbschein als testamentarisch berufene Alleinerbin erteilt.

Nachdem die Existenz des Beteiligten zu 2., dem Bruder des Erblassers, bekannt geworden war, hat das Amtsgericht auf dessen Anregung hin der Beteiligten zu 1. mit Beschluss vom 26. August 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung die Rückgabe des Erbscheins aufgegeben. Die Beteiligte zu 1. ist dem gerichtlichen Gebot nachgekommen. Einer "Anregung" des Beteiligten zu 2., im Wege der einstweiligen Anordnung zugunsten des Beteiligten zu 1. einen Widerspruch gegen das Eigentum der Beteiligten zu 1. einzutragen, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 nicht entsprochen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 1. Februar 2022 hat das Amtsgericht nach Einholung eines Schriftgutachtens und anschließender mündlicher Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen die einstweilige Anordnung vom 26. August 2020 aufgehoben und ausgesprochen, dass der Erbschein an die Beteiligte zu 1. auszuhändigen ist. Der Beschluss ist im Hauptausspruch rechtskräftig geworden.

Mit Beschwerde und Anschlussbeschwerde wenden sich die Beteiligten gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts. Dieses hat die Kosten der Beweisaufnahme dem Beteiligten zu 2. auferlegt und die Beteiligte zu 1. mit allen anderen Gerichtskosten belastet. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten hat das Amtsgericht nicht angeordnet. Die Beteiligte zu 1. ist der Ansicht, lediglich die Kosten für die Erteilung des Erbscheins übernehmen zu müssen und von dem Beteiligten zu 2. die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten beanspruchen zu können. Der Beteiligte zu 2. meint, die Beteiligte zu 1. habe auch die Kosten der Beweisaufnahme zu tragen.

Das Nachlassgericht hat der Besc...

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