Leitsatz (amtlich)
Hat das Amtsgericht bei der von ihm nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung im Erbscheinsverfahren gemäß § 81 Abs. 1 FamFG sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt (hier: Ermessensfehlgebrauch in Gestalt eines ausschließlichen Abstellens auf das Maß von Obsiegen und Unterliegen) und ist deshalb der Weg für eine eigene Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts eröffnet, so sind hierbei sämtliche in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles heranzuziehen und - ohne Anwendung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses - neben dem Maß des Obsiegens und Unterliegens etwa die Art der Verfahrensführung, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die familiäre und persönliche Nähe zwischen Erblasser und Verfahrensbeteiligten zu würdigen (hier: Aufhebung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten und Kosten der Beweisaufnahme gegeneinander mit Blick auf massive "Instrumentalisierung" der Erblasserin zu Lebzeiten durch ihre beiden Kinder und Anmutung des Erbscheinsverfahrens als Fortsetzung der innerfamiliären Auseinandersetzung der Geschwister).
Normenkette
FamFG § 81 Abs. 1-2
Verfahrensgang
AG Grevenbroich (Aktenzeichen 6 VI 108/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der angefochtene Beschluss teilweise geändert.
Die Kosten der Beweisaufnahme erster Instanz und die dort entstandenen außergerichtlichen Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Die weitergehende Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
I. Die Beteiligten sind die Kinder der Erblasserin, die mit beiden je einen Erbvertrag geschlossen hatte.
Zunächst hatte sie mit dem Beteiligten zu 2 am 22. Febr. 2008 einen Erbvertrag geschlossen und ihn als Alleinerben eingesetzt.
Mit anschließendem Erbvertrag vom 9. Mai 2008 mit der Beteiligten zu 1 hatte sie die Beteiligten zu 1 und zu 2 zu gleichen Teilen zu ihren Erben berufen und mit Erklärung vom gleichen Tage den ersten Erbvertrag angefochten.
Das Nachlassgericht hatte mit Beschluss vom 27. Dez. 2012 die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags des Beteiligten zu 2 auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Maßgebend sei der erste Erbvertrag, der davon abweichende zweite Erbvertrag sei unwirksam.
Die Erblasserin habe den ersten Erbvertrag auch nicht wirksam angefochten. Denn sie habe unter dem 4. März 2008 durch Bestätigung des ersten Erbvertrages einen Anfechtungsverzicht erklärt.
Aufgrund der Beweisaufnahme - so das Nachlassgericht - sei es hinreichend überzeugt, dass die Erblasserin die Bestätigung eigenhändig unterzeichnet habe. Es seien auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sie zur Unterzeichnung gedrängt worden sei oder zuvor keine Möglichkeit gehabt habe, sich mit dem Inhalt der Bestätigung auseinanderzusetzen. Wenn die Erblasserin der Beteiligten zu 1 am 11. März 2008 "gestanden" habe, sie enterbt zu haben, deute dies vielmehr darauf hin, dass sie sowohl bei Unterzeichnung des Erbvertrages als auch der Bestätigung gewusst habe, was sie unterzeichnet hatte. Zwar habe die Erblasserin dies offenbar später bereut. Das jedoch sei für die Entscheidung nicht relevant.
Der Senat hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen diesen Beschluss zurückgewiesen, weil das Nachlassgericht die Voraussetzungen für die Erteilung des vom Beteiligten zu 2 beantragten Erbscheines zu Recht - insbesondere ohne Verstoß gegen bestehende Ermittlungspflichten - bejaht habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Nachlassgericht die Gerichtskosten für die Erteilung des Erbscheins dem Beteiligten zu 2 auferlegt und entschieden, dass die Beteiligte zu 1 die Kosten der Beweisaufnahme und die eigenen und außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 2 zu tragen habe; dies deshalb, weil in der Nachlasssache mit vermögensrechtlichem Schwerpunkt dem Maß von Obsiegen und Unterliegen besondere Bedeutung beizumessen sei.
Hiergegen beschwert sich die Beteiligte zu 1. Sie hält die Kostenentscheidung des Nachlassgerichts für ermessenfehlerhaft. Jeder der Beteiligten müsse seine außergerichtlichen Kosten selbst und der Beteiligte zu 2 die Kosten der Beweisaufnahme tragen.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II. Die gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2, 352 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat in der Sache insoweit Erfolg, als die Kosten der Beweisaufnahme und die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten gegeneinander aufzuheben sind. Im übrigen ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Eine nach § 81 Abs. 1 und 2 FamFG vom Amtsgericht getroffene Ermessensentscheidung bezüglich der Verfahrenskosten ist nach allgemeiner Meinung (z.B. Kroiß ZEV 2016, 619, 621 m.N.) und ständiger Rechtsprechung des Sen...