Leitsatz (amtlich)
Schlägt ein Erbe auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen die Erbschaft aus, weil er "befürchtet, dass da nur Schulden sind", so kann er, wenn sich später die Werthaltigkeit des Nachlasses herausstellt, seine Ausschlagungserklärung nicht wegen Irrtums anfechten.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 2, §§ 1945, 1954-1955
Verfahrensgang
AG Duisburg-Ruhrort (Beschluss vom 06.12.2010; Aktenzeichen 13 VI 471/08) |
Tenor
Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beteiligten zu 3 zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 75.663 EUR.
Gründe
I. Der am 23.7.1969 verstorbene Vater der Beteiligten zu 3 war mit der Erblasserin verheiratet. Er hatte mit dieser unter dem 30.12.1957 vor dem Notar Dr. S. in Moers einen Erbvertrag geschlossen, in dem die Ehegatten sich wechselseitig zu alleinigen Erben bestimmten und darüber hinaus vereinbarten, dass die Beteiligte zu 3 den Überlebenden beerben sollte.
Die Erblasserin hinterließ ein privatschriftliches Testament, wonach sie die Beteiligte zu 4 zu 1/2 und die Beteiligten zu 1 und 2 zu je 1/4 beerben.
Mit notarieller Erklärung vom 17.6.2008 haben die Beteiligte zu 3 und ihre beiden Kinder die Erbschaft nach ihrer verstorbenen Stiefmutter, der Erblasserin, ausgeschlagen, weil der Nachlass überschuldet zu sein scheine.
Durch notarielle Erklärung vom 25.6.2009 hat die Beteiligte zu 3 ihre Ausschlagung angefochten, da sie eine Gerichtskostenrechnung erhalten habe, wonach ein Wert von 75.663 EUR zugrunde gelegt worden sei, und sie demnach irrtümlich von einer Überschuldung des Nachlasses ausgegangen sei.
Das AG - Nachlassgericht - hat unter dem 6.12.2010 den Antrag der Beteiligten zu 3 auf Erteilung eines Erbscheins des Inhalts, dass sie die Erblasserin allein beerbe, zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, durch die notarielle Erklärung vom 17.6.2008 habe die Beteiligte zu 3 ggü. dem Nachlassgericht wirksam die Erbschaft nach ihrer verstorbenen Stiefmutter ausgeschlagen.
Die am 25.6.2009 nach §§ 1954, 1955, 1945 BGB form- und fristgerecht erklärte Anfechtung der Ausschlagung greife nicht durch, da ein Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB nicht dargetan sei. Die Beteiligte zu 3 mache geltend, sie habe bei der Ausschlagung irrtümlich die Überschuldung des Nachlasses angenommen. Die Überschuldung des Nachlasses sei eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB. Ein Irrtum hierüber könne zur Anfechtung der Ausschlagung dann berechtigen, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung des Nachlasses auf unrichtigen Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses hinsichtlich des Bestandes an Aktiva und Passiva beruhe. In ihrem Schreiben vom 7.10.2010 habe die Beteiligte zu 3 ausgeführt, das sie gewisse Vorstellungen über das Vermögen ihres vorverstorbenen Vaters und das Vermögen der Erblasserin gehabt habe. Danach sei ihre Stiefmutter auf öffentliche Unterstützung angewiesen gewesen; ihr vorverstorbener Vater sei schwer krank und berufsunfähig gewesen; das Elternhaus habe veräußert werden müssen. Sie, die Beteiligte zu 3, habe daher den Nachlass für überschuldet gehalten und die Erbschaft deshalb ausgeschlagen.
Die Entscheidung zur Ausschlagung sei demnach nicht aufgrund einer Bewertung der Beteiligten zu 3 bekannter und zugänglicher Fakten entstanden. Die Ausschlagung beruhe somit nicht auf konkreten Tatsachen, die Beteiligte zu 3 habe sich vielmehr ohne Überprüfung von der Annahme leiten lassen, der Nachlass sei überschuldet. Hiernach liege ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum nicht vor und sei das Gesuch der Beteiligten zu 3 um Ausstellung eines sie als Alleinerbin nach ihrer Stiefmutter ausweisenden Erbscheins zurückzuweisen.
Hiergegen beschwert sich die Beteiligte zu 3 und macht geltend, sie habe ihre Befürchtung hinsichtlich der Überschuldung des Nachlasses auf konkrete Tatsachen - soweit ihr bekannt - gestützt. Wegen einer gewissen Entfernung zur Erblasserin seien diese Informationen allerdings, wie sich erst später herausgestellt habe, nur schemenhaft gewesen.
Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Senat vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.1. Das gem. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1; 63 Abs. 1 FamFG als Beschwerde zulässige Rechtsmittel der Beteiligten zu 3 hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Nachlassgericht hat der Beteiligten zu 3 die Erteilung des Erbscheins zu Recht versagt, weil diese die Erbschaft nach ihrer verstorbenen Stiefmutter mit notarieller Erklärung vom 17.6.2008 ggü. dem Nachlassgericht wirksam ausgeschlagen hat und die am 25.6.2009 erklärte Anfechtung der Ausschlagung mangels eines Irrtums über das Vorhandensein einer Überschuldung (§ 119 Abs. 2 BGB) nicht greift.
a) Objektiv erhebliche und ursächliche Fehlvorstellungen über verkehrswesentliche Eigenschaften des Nachlasses begründen die Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft nach § 119 Abs. 2 BGB.
Die Überschuldung des Nachlasses ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses (BayObLG FamRZ 1...