Leitsatz (amtlich)
Ein äußerlicher, gleichsam zufälliger Zusammenhang zwischen einem Pflichtverstoß, der hierdurch begründeten Gefahrenlage und einem Schaden genügt für eine haftungsrechtliche Zurechnung nicht. Stellt sich die durch einen vorangegangenen Pflichtverstoß vorwerfbar veranlasste Schaffung einer Unfallstelle als Hindernis als gegenüber den übrigen Beiträgen deswegen völlig untergeordnete Gefahrenquelle dar, weil davon auszugehen ist, dass sie ohne die gefahrerhöhenden Beiträge der übrigen Beteiligten einfach zu beherrschen gewesen wäre, ist der Zurechnungszusammenhang unterbrochen.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 23 O 261/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.8.2022 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (23 O 261/21) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs Ersatz für von ihr geleistete Schadensersatzzahlungen zugunsten Herrn Q., der am 22.12.2015 bei einem Verkehrsunfall im Bereich der Kreuzung E.-straße/F.-straße in U. schwer verletzt wurde.
Der Geschädigte Q., zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt, befand sich vor dem zu seinen Verletzungen führenden Unfall als Beifahrer im von seiner Mutter geführten Kraftfahrzeug. Auf der oben genannten Kreuzung fuhr der hinter diesem Fahrzeug mit einem bei der Beklagten haftpflichtsicherten Pkw fahrende Herr F. V. schuldhaft auf das vom Geschädigten und seiner Mutter genutzte Fahrzeug auf. Beide Fahrzeuge verblieben im Kreuzungsbereich auf der linken von zwei Geradeausfahrspuren. An beiden Fahrzeugen war die Warnblinkanlage eingeschaltet; am hinteren - bei der Beklagten versicherten - Fahrzeug auch die Beleuchtung. Herr V. stellte auf dieser Fahrspur am Eingang der Kreuzung, auf Höhe der Haltelinie, ein Warndreieck auf. Anschließend begaben er, der Geschädigte und seine Mutter sich auf eine Verkehrsinsel im Kreuzungsbereich.
Als das auf der Fahrbahn aufgestellte Warndreieck umfiel, weil es von einem auf die Unfallstelle zufahrenden Verkehrsteilnehmer umgefahren worden war, begab sich der Geschädigte von der Verkehrsinsel über den für den Linksabbiegerverkehr vorgesehenen Bereich der Kreuzung entgegen der vormaligen Fahrtrichtung auf einen Grünstreifen, der die Richtungsfahrbahnen voneinander trennte. Von dort ging er in Höhe des umgefallenen Warndreiecks auf die Fahrbahn, bückte sich und stellte es erneut auf. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, wurde er vom bei der Klägerin haftpflichtversicherten Fahrzeug, welches sich auf der linken Geradeausfahrspur der Kreuzung angenähert hatte, mit einer Geschwindigkeit von wenigstens 32 km/h ungebremst erfasst, durch die Luft geschleudert und schwer verletzt.
Der Geschädigte erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit langer Bewusstlosigkeit aufgrund einer bifrontalen Blutung mit nachfolgendem bifrontalen Hygrom und kleinem Substanzdefekt im rechten Frontallappen mit persistierenden kognitiven Störungen, das heißt Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörung, Störung der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses, der Befindlichkeit und des Verhaltens, einer psychomotorischen Verlangsamung und einer mittelschweren organischen Wesensänderung. Hinzu kommen eine BWK-5-Fraktur mit posttraumatischer Kyphose der Brustwirbelsäule sowie eine Vorderkreuzband- und Außenbandruptur des rechten Kniegelenks.
Die Klägerin wurde durch den Senat (Urteil vom 24.11.2020, I-1 U 63/20, veröffentlicht) zur Leistung von Schadensersatz unter Annahme einer Haftungsquote von 2/3 verurteilt; ihre Haftung dem Grunde nach für Folgeschäden wurde in diesem Umfang festgestellt. Sie zahlte deswegen an den Geschädigten sowie Sozialleistungsträger bislang schadensbedingt 233.427,41 EUR.
Sie ist der Ansicht gewesen, dass ihr 1/3 des von ihr zu leistenden Schadensersatzes im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs von der Beklagten ersetzt zustehen. Diese sei ebenfalls gegenüber dem Geschädigten einstandspflichtig, da der Zweitunfall durch den Erstunfall verursacht und der Zurechnungszusammenhang nicht entfallen sei. Eine vollständig gesicherte Unfallstelle habe nicht - oder nicht mehr - vorgelegen, nachdem das ursprünglich vom bei der Beklagten versicherten Fahrer aufgestellte Warndreieck umgefallen sei. Mithin wirke die geschaffene Gefahrenlage fort; zudem komme ein Pflichtverstoß des bei der Beklagten versicherten Fahrers deswegen, weil er das Warndreieck nicht am Fahrbahnrand aufgestellt hatte, in Betracht.
Sie hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 77.809,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen ...