Leitsatz (amtlich)
1. Wer das Sonderrecht des § 38 Abs. 1 StVO für sich in Anspruch nimmt, muss beweisen, dass er neben dem blauen Blinklicht auch das Einsatzhorn verwendet hat.
2. § 35 Abs. 5a) StVO enthebt den Fahrer eines Rettungsfahrzeuges nicht von der Pflicht, Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmer zu nehmen.
3. Zur Ersatzfähigkeit von restlichem Treibstoff im Tank des Unfallfahrzeugs.
Normenkette
StVO § 38 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 5a
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 10.03.2016; Aktenzeichen 7 O 119/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines weiter gehenden Rechtsmittels das am 10.3.2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des LG Wuppertal teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.798,55 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 255,85 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.6.2014 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat, was seine Anspruchsberechtigung dem Grunde nach anbelangt, in vollem Umfang Erfolg. Entgegen der Begründung der angefochtenen Entscheidung ist der Beklagten nicht nur ein Haftungsanteil von 10 % der klägerischen Unfallschäden anzulasten, sondern die mit dem Rechtsmittel weiterhin geltend gemachte Quote von 50 %. Unbegründet ist das Rechtsmittel des Klägers nur hinsichtlich der Höheposition "Restbenzin im Tank" im Umfang von 25 EUR. Dieser Posten stellt keinen ersatzfähigen Schaden dar. Denn der Kläger hat es durch ihm zumutbare Maßnahmen unterlassen, den Eintritt der streitgegenständlichen Vermögenseinbuße zu verhindern.
Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
I. Nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nur insoweit zugrunde zu legen, als nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.
Derartige Zweifel sind im vorliegenden Fall bezüglich der durch das LG ausgesprochenen Haftungsverteilung und den zugrunde liegenden Feststellungen gegeben. Richtig ist zwar die Beweiswürdigung LG insoweit, als sich nicht die Erkenntnis gewinnen lässt, dass der Zeuge P., der unstreitig bei Rotlicht mit dem Notarztwagen des Beklagten von der Schützenstraße in die Carnaper Straße in Wuppertal einfuhr, dies unter Inanspruchnahme von Wegerechten gemäß § 38 Abs. 1 StVO tat. Zwar weist der Beklagte in seiner Berufungserwiderung zu Recht darauf hin, dass die Beweiswürdigung des LG eine Argumentationsschwäche aufweist. Dies ändert allerdings nichts daran, dass im Ergebnis der Beklagte für die Richtigkeit seiner Behauptung beweisfällig bleibt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für eine Wegerechtseinfahrt des Notarztwagens in die Unfallkreuzung durch die rechtzeitige Betätigung des akustischen Warnsignals neben dem blauen Blinklicht gegeben waren.
Deshalb kann die durch das LG ausgesprochene Haftungsverteilung mit einer Quotierung von 10 %: 90 % zum Nachteil des Klägers keinen Bestand haben. Richtig erscheint es vielmehr, bei der Abwägung auf der Grundlage der §§ 17, 18 StVG eine Einstandsverpflichtung der Beklagten im Umfang von 50 % der klägerischen Unfallschäden anzusetzen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Zeugen P. ein die Betriebsgefahr des Notarztwagens zusätzlich steigerndes Annäherungsverschulden anzulasten ist, weil erwiesen ist, dass er entgegen § 35 Abs. 8 StVO die Rotlichteinfahrt bis zum Erreichen der kreuzungsmittigen Unfallstelle nicht mit der gebührenden vorsichtigen Fahrweise durchgeführt hat. Darauf deuten jedenfalls die Bekundungen der Zeugen H. sowie B. hin.
Entscheidend ist im Ergebnis, dass die von dem Fahrzeug des Beklagten ausgegangene Betriebsgefahr allein schon durch die Rotlichteinfahrt ohne feststellbare Sanktionierung durch ein Wegerecht nach den Vorgaben des § 38 Abs. 1 StVO so sehr gesteigert war, dass auf eine hälftige Anspruchsberechtigung des Klägers zu erkennen ist. Die Tatsache, dass den Kläger ebenfalls ein erhebliches Mitverschulden an der Entstehung des Auffahrunfalls trifft, weil er entweder den nach § 4 Abs. 1 StVO erforderlich gewesenen Sicherheitsabstand zu dem Vordermann B. nicht eingehalten hat oder weil ihm unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ein Aufmerksamkeitsverschulden anzulasten ist, steht außer Streit. Gleichwohl darf entgegen der Gewichtung des LG dieser Verursachungs- und Verschuldensbeitrag nicht dazu führen, dass der Kläger nur in Höhe von 10 % seiner Unfallschäden ersatzberechtigt sein soll. Wäre das durch den Zeugen P. gesteuerte Fahrzeug hypothetisch allein mit dem Pkw Opel des Zeugen B. zusammen gestoßen, der ebenso wie der Kläger unstreitig bei Grünlicht in die Unf...