Entscheidungsstichwort (Thema)

Stichentscheids-Verfahren in der Rechtsschutzversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Stichentscheid eines Rechtsanwalts ist auch dann "ausreichend begründet" i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 ARB 75 und bindet den Rechtsschutzversicherer, wenn die in ihm zur Erfolgsaussicht enthaltene Begründung erst im Zusammenhang mit vorangehenden Schreiben an den Versicherer sowie beigefügten gerichtlichen Entscheidungen eine schlüssige Begründung ergibt.

2. Der anwaltliche Stichentscheid weicht erst dann "offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage" ab i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 2 ARB 75, wenn in ihm die Sach- und Rechtslage gröblich verkannt wird und sich dies dem Sachkundigen - wenn auch ggf. erst nach Prüfung - mit aller Deutlichkeit aufdrängt.

3. Der Versicherer verliert das Recht, sich auf Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung zu berufen, wenn er Deckungsschutz ablehnt, ohne dabei auf die bestehende Möglichkeit eines Stichentscheids hinzuweisen. Das gilt auch dann, wenn der Versicherungsnehmer anwaltlich vertreten ist.

 

Normenkette

ARB 75 § 7

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Urteil vom 29.07.2004; Aktenzeichen 7 O 425/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Wuppertal vom 29.7.2004 - 7 O 164/03 - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 535,53 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 25.7.2003 zu zahlen und die Klägerin freizustellen in Bezug auf die Gebührenforderung der Rechtsanwälte pp., gemäß der Kostenrechnung der Anwälte vom 10.6.2003 i.H.v. 5.881,38 EUR.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreit hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten aufgrund einer zwischen den Parteien seit dem Jahr 1987 bestehenden Rechtsschutzversicherung Deckung in Bezug auf eine von ihr am 4.2.2003 beim LG Paderborn anhängig gemachte und dort unter dem Aktenzeichen 4 O 57/03 geführte Zahlungsklage gegen Notar pp. (im Folgenden: "Notar" genannt).

Mit einem von dem Notar beurkundeten Kaufvertrag vom 23.5.2000 erwarb die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann ein Hausgrundstück bei P. Auf eine Mitteilung des Notars vom 1.9.2000, dass sämtliche Unterlagen zur Kaufpreisfälligkeit vorlägen, zahlten die Klägerin und ihr Ehemann den vereinbarten Kaufpreis von 235.000 DM an die Verkäuferin. Die Mitteilung des Notars stellte sich jedoch als falsch heraus, da in Abt. III Nr. 6 des Grundbuches vereinbarungswidrig noch eine Briefgrundschuld der Verkäuferin über 250.000 DM eingetragen war, welche diese außerhalb des Grundbuches an die N. abgetreten hatte. Auf die Klage der Klägerin und ihres Ehemannes stellte das LG Paderborn mit Urteil vom 11.7.2002 (LG Paderborn, Urt. v. 11.7.2002 - 4 O 74/02) daraufhin fest, dass der verklagte Notar verpflichtet sei, der Klägerin und ihrem Ehemann jedweden Schaden zu ersetzen, der ihnen im Zusammenhang mit dem vom Notar beurkundeten notariellen Kaufvertrag vom 24.5.2000 entstanden war oder noch entstand. Am 30.7.2002 erstritten die Klägerin und ihr Ehemann beim LG Bielefeld unter dem Aktenzeichen 5 O 146/02 gegen die Verkäuferin des Grundstücks ein Versäumnisurteil, durch das diese verurteilt wurde, das Grundstück lastenfrei zu übertragen. Gestützt auf dieses Urteil erwirkten die Klägerin und ihr Ehemann am 7.1.2003 einen Beschluss nach § 887 ZPO gegen die Verkäuferin, durch den sie ermächtigt wurden, die Lastenfreiheit des Grundstücks auf Kosten der Verkäuferin zu bewirken, und die Verkäuferin verurteilt wurde, insgesamt 140.605,27 EUR nebst Zinsen an die Klägerin und ihren Ehemann zu zahlen. Da ihnen eine Vollstreckung gegen die Verkäuferin aussichtslos erschien, forderten die Klägerin und ihr Ehemann den Notar unter Bezugnahme auf das Urteil des LG Paderborn vom 11.7.2002 (LG Paderborn, Urt. v. 11.7.2002 - 4 O 74/02) mit anwaltlichem Schreiben vom 14.1.2003 unter Fristsetzung bis zum 29.1.2003 zur Zahlung von 140.605,27 EUR auf. Auf Zahlung eben dieser Summe war auch die nach fruchtlosem Fristablauf erhobene, streitgegenständliche Klage gerichtet.

Die Klägerin bat die Beklagte mit Schreiben vom 4.2.2003 um Kostenschutzzusage für die am gleichen Tag anhängig gemachte Zahlungsklage gegen den Notar. In der Folgezeit stellte die Klägerin der Beklagten auf deren Verlangen diverse Unterlagen betreffend die Verfahren 4 O 57/03 LG Paderborn und 5 O 146/02 LG Bielefeld zur Verfügung. In der Zwischenzeit hatte durch außergerichtliche Gespräche der Verkäuferin mit der N. eine Löschung der Grundschuld herbeigeführt werden können, weshalb die Parteien des Verfahrens 4 O 57/03 LG Paderborn dieses in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten. Im nachfolgenden Beschluss vom 13.5.2003 legte das LG Paderborn der Klägerin und ihrem Ehemann gem. § 91a ZPO 6/7 die Kosten des Rechtsstreits auf und begründete dies damit, dass kein Anlass für ...

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