Leitsatz (amtlich)
Den Rechtsanwalt trifft an der Kündigung seines Mandanten kein "Auflösungsverschulden", obwohl er selbst zuvor mit der Mandatsniederlegung gedroht hat, wenn dies nicht grundlos geschah und auch sonstige Vorwürfe des Mandanten die Honorareinbuße nicht rechtfertigen.
Normenkette
BGB §§ 627, 628 Abs. 1 S. 2, § 675
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 28.10.2005; Aktenzeichen 14d O 177/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.10.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 14d des LG Düsseldorf - Einzelrichter - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter Abweisung ihrer Widerklage verurteilt, an die Klägerin 803,56 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2002 zu zahlen.
Die Kosten beider Rechtszüge werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Rechtsfehlerhaft hat das LG die Resthonorarklage der klagenden Rechtsanwaltsgesellschaft (GbR) abgewiesen (803,56 EUR nebst Zinsen) und sie zu Schadensersatz (1.861,44 EUR nebst Zinsen) sowie Freistellung (4.942,85 EUR) wegen angeblicher Schlechterfüllung des Anwaltsdienstvertrags verurteilt. Der Senat teilt nicht die Beurteilung des LG, die Beklagte habe wegen schuldhafter Vertragsverletzung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts Dr. C. (nachfolgend Kläger genannt) den Anwaltsvertrag aus wichtigem Grund kündigen dürfen, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch verloren hätte.
1. Wird - was gem. § 627 BGB beiderseits jederzeit möglich ist - der Anwaltsvertrag gekündigt, behält der Rechtsanwalt gem. § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich den Vergütungsanspruch, und zwar in dem Umfang, in dem er Leistungen erbracht hat, § 13 Abs. 4 BRAGO. Im Streitfall hatte der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung (14.11.2002) das in der Kostennote vom 14.3.2003 abgerechnete Honorar nach Grund und Höhe durch das Betreiben des Geschäfts und die Wahnehmung des Senatstermins verdient. Das leugnet auch die Beklagte nicht mehr.
2. Gemäß § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB verliert der Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch aber, wenn er selbst ohne wichtigen Grund kündigt oder wenn er durch sein schuldhaft vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Mandanten veranlasst hat (sog. Auflösungsverschulden) und wenn seine bisherigen Leistungen für den Mandanten ohne Interesse sind (BGH NJW 1995, 1954 = BGH v. 30.3.1995 - IX ZR 182/94, BRAK 1995, 220 = MDR 1995, 854). Da dies die Ausnahme von der Regel ist, trägt der Mandant die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die zur Kürzung oder zum Wegfall des Honoraranspruch führen sollen (BGH v. 8.10.1981 - III ZR 190/79, MDR 1982, 386 = NJW 1982, 437, 438 und 1997, 188).
3. Unter Anlegung dieses Maßstabs trifft den Kläger kein Auflösungsverschulden. Weder die einzelnen Vorwürfe noch ihre Gesamtwürdigung rechtfertigen eine Kündigung aus wichtigem Grund, so dass der Vergütungsanspruch des Klägers erhalten bleibt.
a) Die Ansicht der Beklagten, der Kläger habe gegen Vertragspflichten verstoßen, als er ihr erst auf Anforderung eine Kopie der von der Berichterstatterin im Vorprozess erlassenen Verfügung vom 25.4.2002 (Beiakte I-8 U 128/05 OLG Düsseldorf, künftig: Verfügung) überließ, ist unrichtig. Nach der Verfügung sollte sie persönlich erklären, dass sie "der Beiziehung weiterer Behandlungsunterlagen zustimmt und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet" (künftig: Entbindungserklärung genannt). Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 BORA stellte das deshalb nicht dar, weil der Kläger der Beklagten in Umsetzung der Verfügung sogleich eine vorformulierte Entbindungserklärung (künftig: Formular) zukommen ließ, die zwar im Wortlaut, nicht aber in der Sache von der Verfügung abwich. Die Ansicht der Beklagten, das Formular sei viel weitergehender als die Verfügung, trifft nicht zu. Der Begriff "Behandlungsunterlagen" erfasst ersichtlich auch solche Dokumente, die sich nicht (mehr) in der Hand von Ärzten, sondern in der Hand von Behörden (z.B. Rentenversicherungsträger, Versorgungsamt usw) befinden; außerdem erfassen sie solche nichtärztlicher Therapeuten, also etwa Physiotherapeuten, Psychologen usw. Das Formular (Abs. 1) nannte diese in Betracht kommenden Personen und Stellen im Unterschied zur Verfügung ausdrücklich, ohne etwas anderes zu regeln. Auch der Abs. 2 des Formulars geht in der Sache nicht weiter als mit der Verfügung bezweckt gewesen ist. Unter den "als Beteiligte in Betracht kommenden" Stellen, denen die Angehörigen/Bediensteten der Heilberufe/Krankenanstalten/Behörden Auskunft geben können sollten, waren ersichtlich nur diejenigen gemeint, die als Gerichte, Rechtsanwälte, Versicherungsgesellschaften, Behörden usw mit dem Vorprozess zu tun hatten, die also schon nach den einschlägigen Regeln der Prozessordnung Anspruch auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen und Kenntnis von ärztlichen Auskünften nehmen dürfen. Deshalb war die Auskunft des Klägers, das Formular sei ni...